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Archiv-Artikel

nebensachen aus schanghai Nachtclub und Avantgarde-Galerie im abendlichen Zwiegespräch

Samstagnacht in Schanghai. Vor der ins Dunkel getauchten Marx-Engels-Statue im alten Fuxing-Park flanieren aufregend geschminkte Damen. Zwischen hochgesteckten Kämmen und hohen Absätzen tragen sie leichte Handtäschchen spazieren, während ihre männlichen Begleiter das neue Auto parken – direkt unter den Bäumen, wo tagsüber die Kinder spielen.

Doch nachts lebt der Park neu auf. Gemeinsam drehen hier Frau und Mann Marx und Engels den Rücken, streifen entlang der im Winter mit Zierkohl bepflanzten Blumenbeete und nehmen die Stufen zum rot erleuchteten Eingang von „Park 97“ – Schanghais derzeit vielleicht beliebtestem Dinner- und Tanzlokal. Drinnen feiern Finanzmanager mit bunten Schlipsen Geburtstag, trifft sich eine chinesische Blondinenrunde an der Sushi-Bar, dröhnt der Hiphop-Klang der schallisolierten Disco sanft bis zu den Cocktailtischen.

An einem von ihnen hat der Schweizer Galerist Lorenz Helbling gerade einen zweiten Gin Tonic bestellt. Ihm gegenüber sitzt der Pekinger Videokünstler Yang Fudong. Die beiden Männer führen ein schwieriges Gespräch. Jahrelang hat der Avantgarde-Galerist Helbling Yang gefördert, doch seine Werke nur schwer verkaufen können. Jetzt hat eine New Yorker Großgalerie Yang entdeckt und will gleich sein Gesamtwerk aufkaufen.

Helbling weiß, dass die Galerie in New York zu den besten Adressen gehört und ihr zu widerstehen zwecklos ist. Zugleich aber kennt er das Risiko des Künstlers, der alles verkauft und dem plötzlich die Mittel fehlen, den Erfolg zu wiederholen – weil ihm das große Geld künstlerisch nicht weiterhilft. Was Yang raten? Soll er am nächsten Tag nach New York jetten oder in die Pekinger Werkstatt zurückkehren?

Fast jeden Tag führt Helbling Künstlergespräche im „Park 97“. Seine Galerie für moderne chinesische Kunst „ShanghArt“ ist gleich nebenan und älter als das Tanzlokal. Seit das aber in den Fuxing-Park gezogen ist, zieht nun die Schanghaier Schickeria allabendlich an der in ganz China sonst kaum zu sehenden Avantgarde-Kunst Helblings vorbei. Es ist ein seltsames Schauspiel. Lauter reich bekleidete Leute, die auf den ersten Blick wie für einen Galeriebesuch ausgesucht erscheinen, werfen ihren Blick durch die Fensterscheiben – und gehen schnell einen Schritt weiter. „Ich müsste nur das Licht ausstellen. Dann wäre die Galerie voller Liebespaare“, meint Helbling.

Doch er lässt die Spotlights an, die in dieser Nacht die Provokationen des jungen Schanghaier Künstlers Song Tao illuminieren. Song hat sich inmitten der Menschenmenge auf Schanghais Nanking-Einkaufsstraße fotografieren lassen – wie er sich scheinbar an einem Luftballon erhängt. Sein Werk trägt den Titel: „In lauten Mengen träume ich davon, mich zu erhängen.“ Wobei der Künstler sein Werk ironisch sieht: „Sonst hätte ich mich nicht an einem Luftballon, sondern an einem Kreuz erhängt.“

Aber wie soll das die Menge verstehen, die in der Samstagnacht durch den Fuxing-Park drängt? Die Männer fahren BMW oder Mercedes, aber sie kennen nicht die Sonnenblumen von van Gogh. Die Frauen schmücken sich mit Gucci und Hermes, aber wissen nicht, was Pop Art ist. Nur gut, dass Marx und Engels den Schanghaier Nächten noch nicht abhanden gekommen sind. Die Entwicklung des Bewusstseins schreitet eben immer hinterher.

GEORG BLUME