piwik no script img

Archiv-Artikel

nebensachen aus prishtina Die fetten schwarzen Raben vom Amselfeld sind wieder da

Schwarzen Kugeln gleichen die Bäume der früheren Tito- und jetzigen Mutter-Teresa-Straße in Prishtina. Bei näherem Besehen kriecht ein leichter Schauder über den Rücken. Denn auf jedem Baum haben sich hunderte von Raben niedergelassen, nicht Amseln, wie der Name Kosovo Polje, das Amselfeld, suggeriert, sondern fette schwarze Raben, die still sitzend die Vorbeischlendernden fixieren. Die Äste biegen sich angesichts der Last. Die einzige Boulevardmeile der Hauptstadt des Kosovo ist fest in den Krallen der Vögel.

Parkende Autos findet man hier nur noch selten. Schon nach wenigen Minuten sind sie mit dem weißen, fest haftenden Kot bedeckt. Und auch wer hier vorbeispaziert, muss aufpassen. Zwar sind die Bürgersteige breit angelegt, doch wer den Bäumen zu nahe kommt, könnte eine böse Überraschung erleben. Das klebrige Zeug von der Kleidung zu waschen ist nicht einfach.

Vjiosa arbeitet hier schon lange in einem Hotel. Die 40-jährige Albanerin saß bereits während der serbischen Zeit an der Rezeption, bis sie durch ein Dekret des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević entlassen wurde. Nach dem Einmarsch der Nato-Truppen und dem Abzug der Serben 1999 jedoch kam sie zurück an ihren angestammten Arbeitsplatz. Sie könnte ihn jedoch verlieren, wenn die Privatisierung des heruntergekommenen staatlichen Hotels abgeschlossen ist. Jeden Tag muss Vjiosa an den Hitchcock-Film „Die Vögel“ denken. Sie senkt ihre Stimme: „Diese Raben sind für mich ein schlechtes Omen. Sie sitzen jetzt wie vor dem Krieg in den Bäumen. Im Krieg waren sie aber dann verschwunden.“

Als Reporter zwischen den Aufstandsgebieten der UÇK und jenen von der serbischen Armee kontrollierten Gegenden pendelnd, entdeckte ich den riesigen Schwarm 1988 in Skenderaj. Die Kleinstadt am Rande des Aufstandsgebietes Drenica bot ein gespenstisches Bild. Kein Zivilist war auf den Straßen zu sehen, nur serbische Militärpatrouillen mit ihren gepanzerten Fahrzeugen und den schwerbewaffneten maskierten Spezialeinheiten unterbrachen die Stille des Ortes. Der aufgeschreckte Schwarm von tausenden von Vögeln verdunkelte den Himmel.

„Lass diesen mystischen Scheiß. Natürlich sind die Vögel damals vor den Schießereien geflohen“, sagt Virtyt, ehemaliger Journalist und Wirtschaftsberater. „Die fliehen nicht in die Natur, sondern in eine andere Stadt, wo sie Abfall finden. Und wenn du dich in Kosovo umguckst, dann siehst du, dass es nur hier an dieser Straße in Prishtina und in Skenderaj noch Bäume gibt.“

Es ist wahr. Bäume gibt es in den Ortschaften nur wenige. Vor den zahlreichen neu gebauten Häusern der ins Umland ausgreifenden Stadt sind zwar Parkplätze angelegt, doch Gärten oder Bäume sucht man vergebens. Der Lebensraum aller Vögel und Tiere ist eingeschränkt. Doch damals wurde in Prishtina gar nicht geschossen, aber in Skenderaj. Die meisten Menschen waren aus Skenderaj geflohen, die Vögel waren trotzdem da. Und jetzt sind sie wieder zurück in Prishtina. Vjiosa zieht an ihrer Zigarette. Sie hat Angst um ihren Arbeitsplatz. ERICH RATHFELDER