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Archiv-Artikel

nebensachen aus moskau Stocknüchtern trotz Vollrauschs dank der KGB-Pille für den Mann

Es gibt sie schon lange, die „Pille für den Mann“. Doch was bisher niemand ahnte: Auch sie stammt aus den Labors des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Zwar schützt das Mittel nicht vor Nachwuchs – vor dem Hang-over am Morgen danach aber schon.

Diesen Tipp verdanke ich einem Verkehrspolizisten (VP), der mir neulich spät abends auflauerte. Auch in Moskau ist ein durchgezogener Mittelstreifen ein durchgezogener Mittelstreifen. Nur kümmert’s niemanden und schon gar nicht nachts.

Der Kollege war ziemlich hartnäckig, stellte Mängel in den Papieren fest – die übliche Nummer –, bis er eine Packung Pfefferminz entdeckte: „ Aha, wir haben also getrunken!“ Ins Krankenhaus, Blutabnahme, meinte er teilnahmlos.

Auch dort passiert es durchaus, dass der Promillegehalt sich je nach Zahlbetrag erhöht, abnimmt oder verdunstet. Also, der VP war sehr zufrieden und bedankte sich mit recht hilfreichen Hinweisen. Pfefferminz und Süßes niemals ! Sie wirken geruchsverstärkend, auf keinen Fall … Am besten sei immer noch die „Pille“:

Wer davon die richtige Dosis vor und während des Verzehrs von Spirituosen schluckt, dem kann der Alkohol nichts anhaben. Das war denn auch der eigentliche Auftrag an die Chemiker der Aufklärung im Kalten Krieg. Außer Agenten hatte nur noch die Nomenklatura Zugriff auf die „obkomowskaja tabletka“, die Tablette für das regionale Parteikomitee“, wie sie auch scherzhaft genannt wurde. Denn die Genossen waren meist die größten Schluckspechte, die aber großen Wert darauf legten, dem Volk stets eine tadellose Vorstellung zu bieten. Dem gemeinen Mann blieb die Pille daher verwehrt.

Inzwischen wird das Mittel als „Antipochmelin“ (Gegenkater) in Supermärkten und Apotheken vertrieben. Es verkauft sich gut, findet aber keinen reißenden Absatz. Der durchschnittliche Russe hält nicht viel von Prophylaxe und Nüchternheit. Für ihn gehört der Kopf- und Weltschmerz nach einem anständigen Gelage einfach dazu. Außerdem sagt er sich: Nach dem Gelage ist vor dem Gelage, und greift zu einem kalten Bier gegen den bollernden Schädel.

Riesenerfolg hat Antipochmelin gleichwohl in den USA, wo es vor einem Monat unter dem Kürzel RU-21 auf den Markt kam. Der geheimnisvolle Stoff soll auf einer zweibasischen, aus Bernstein gewonnenen Säure beruhen.

Selbstversuche ergaben: Trinken fällt nicht schwer. Beachtet man die Mengenangaben penibel, lässt sich jede Herausforderung meistern. Mit einer Tablette ist es aber nicht getan, und das ist lästig. Auf 100 ml hartes Getränk oder einen Viertelliter Bier/Wein sind ein bis zwei Pillen zu schlucken. Das vergisst man schon mal. Gleichzeitig stellt sich ein Gefühl unbeschreiblicher Nüchternheit ein, das geradezu kühn dazu verleitet, nüchtern Dinge auszusprechen, vor denen man sich angeheitert sonst noch in Acht nimmt.

Das muss aber eine individuelle Wirkung sein. Ansonsten wäre die Pille für den Einsatz an der Spionagefront ja unbrauchbar. Auf die Verarbeitung der Tagesreste im Traum wirkt das Mittel verdichtend. Unglaubliche Szenen spielen sich da ab.

Innerlich zerschlagen steht man am Morgen vor dem Spiegel und wundert sich: Woher stammt dieser fantastische Teint? Wohl von der anerkannten Nebenwirkung des Präparats.

KLAUS-HELGE DONATH