nebensachen aus mexiko-stadt : Weißbekittelte Freiluftmasseure bieten verspannten Passanten auf den Straßen unentgeltlich ihre Dienste an
Super-Stress und Mega-Wellness
Vicente Fox, der bislang stets verblüffend gut gelaunte Regierungschef Mexikos, dürfte derzeit unter leichter Verspannung leiden. Die Sache läuft dieser Tage nicht ganz so gut. Vor kurzem rief er bei einer Tour aufs Land einer Bäuerin, die ihm freimütig ihren Analphabetismus gestand, zu: „Umso besser, da werden Sie glücklicher!“ Heimtückisch, wie Reporter zu sein pflegen, kritzelten sie das Sätzchen in die Notizblöcke und verbreiteten es flugs in alle Welt.
Dabei ist die Erinnerung daran, wie der frisch gewählte Präsident ausgerechnet zur Eröffnung eines hochkarätigen Hispanistenkongresses einen argentinischen Literaten namens „José Luis Borgues“ – gemeint war Jorge Luis Borges – zitierte, noch immer nicht ganz verblasst. Noch fieser aber ist die Sache mit den Gringos. Zum allseitigen Erstaunen hatte sich Fox zunächst weit aus dem Fenster gelehnt und dem Texaner George W. Bush, Männerfreundschaft hin oder her, ein markiges „Nein zum Krieg“ zugerufen. Ein Slogan, der ihm zwar von Kolumnisten das Etikett eines „Hinterhof-Supermanns“, vom Volke jedoch nahezu ungeteilte Zustimmung eintrug. Dieses wird nun umso enttäuschter sein, wenn der Präsident – wie mittlerweile allgemein erwartet – sich diese Woche wieder in einen braven UNO-Clark-Kent zurückverwandelt.
Um wenigstens den Seelenfrieden zu bewahren, wäre dem geplagten Presidente ein kleiner Abstecher in die Zona Rosa zu empfehlen, die gänzlich unglamouröse Flaniermeile mitten im Megamoloch Mexiko-Stadt. Eingekeilt zwischen Burger King und MacDonald’s, neben trägen Teenagern und stoischen Schuhputzern, stehen dort neuerdings ein paar Klappstühlchen für gestresste Stadtbewohner bereit. Unter smogverhangener Abendsonne bieten weißbekittelte Freiluftmasseure unentgeltlich ein Viertelstündchen Wellness an. Man wolle der Stadt ihre „Dämonen austreiben“, begründet Cheftherapeutin Gloria das selbstlose Unternehmen. Zwar scheint dafür kaum ein Ort ungeeigneter als die Zona Rosa, mit ihren immer leicht desorientiert umherwandernden Touristen und den lauernden Abzockern, den Bergen von Raub-CDs und zweifelhaften Chanel-Flacons. Doch irgendwie scheint es zu klappen. Tag für Tag stehen hier die Menschen Schlange und lassen sich hingebungsvoll den Kopf verdrehen. Und alle gucken hinterher ein wenig friedlicher drein.
Dem Selbstversuch kann ich nicht widerstehen. Direkt gegenüber einem Table-Dance-Tempel im Antik-Look, dessen Pforte goldglänzende Säulen säumen, setze ich mich nieder. „Äuglein zu“, raunt mir Gloria zu. Noch schnell die Handtasche festgekrallt, und fortan bin ich ganz Nacken und Ohr. Die heilenden Hände legen sich warm an die Wangen, und – kaum zu glauben – mit einem Mal verschmilzt alles zu einem lieblichen Konzert: Geklimper und Gekreisch, Tuten und Brummen, plärrende Musikboxen und herumklingelnde Handys. Als ich die Augen wieder öffne, hat sich eine kleine Menschentraube um mich versammelt. Sicher ein ungewohnter Anblick: entrückte Gringa mit zerwuscheltem Haar. Ich lächele versonnen in die Runde. Alles scheint plötzlich leicht und möglich. Man sollte Vicente Fox am besten gleich mal anrufen.
ANNE HUFSCHMID