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Archiv-Artikel

nebensachen aus madrid Wie die Krise so manchen zum modernen Robin Hood macht

A. C. G. tauschte den Schutzhelm gegen eine Sturmhaube, die Schutzbrille gegen eine dunkle Sonnenbrille und die Maurerkelle gegen eine Pistole. Fünfmal überfiel der 52-jährige aus der nordostspanischen Provinz Lleida eine Bank, bevor er erwischt wurde. Die Polizei staunte nicht schlecht. Er habe sich nicht bereichern wollen, erklärte der Chef eines kleinen Maurerbetriebes. Das geraubte Geld, 80.000 Euro, habe er gebraucht, um die Löhne seiner Arbeiter zu zahlen. A. C. G. ist ein Opfer der Krise der Baubranche in Spanien. Mehrere seiner Auftraggeber haben sich aus dem Staub gemacht, ohne zu zahlen. Aus sozialer Verantwortung gegenüber seinen Arbeitern sei er zum Bankräuber geworden, beteuert A. C. G.

Der moderne Robin Hood aus Lleida ist kein Einzelfall. Anfang Februar musste die Polizei den gesamten Ortskern von Loeches, einer Schlafstadt vor den Toren Madrids, absperren. Vor dem Rathaus stand der Lieferwagen des Bauunternehmers José María Solis. Wenn er nicht sofort die 450.000 Euro bekomme, die ihm die Gemeindeverwaltung seit Monaten für mehrere Aufträge schulde, werde er sich in die Luft sprengen, drohte der verzweifelte Mann. Nach mehreren Stunden zähen Verhandlungen gab er auf. 14.000 Euro hat das Rathaus anschließend überwiesen. Solis, der jetzt auf seine Gerichtsverhandlung wartet, blieb nichts anderes übrig, als seine Arbeiter und Angestellten zu entlassen.

Auch so mancher Arbeiter greift angesichts der Krise und der schlechten Zahlungsmoral vieler Unternehmer und Auftraggeber zu ungewöhnlichen Mitteln. Immer öfter besetzen verzweifelte Maurer Baukräne. „Entweder bekomme ich die Löhne, die mir das Unternehmen schuldet, oder ich springe“, lautet die Drohung. Gesprungen ist bisher noch keiner. Kassiert haben allerdings auch nur wenige.

3,5 Millionen Menschen (14 Prozent) sind in Spanien arbeitslos, so viele wie sonst nirgends in der EU. Mehr als 800.000 Haushalte haben überhaupt kein Einkommen mehr. Sich zu nehmen, was zum Leben notwendig ist, liegt da auf der Hand.

Ein Pärchen aus der Region Valencia – er 33, sie 26 – wurde so zu einer Provinzausgabe von Bonnie und Clyde. Sie überfielen seit Jahresbeginn zwölf Tankstellen. Die beiden fuhren in ihrem Citroën vor. Sie wartete im Wagen mit laufendem Motor. Er bedrohte den Tankwart mit einer Pistole und raubte die Kasse aus. Dann fuhren die beiden mit quietschenden Reifen davon. „Von irgendwas mussten wir unsere Miete bezahlen“, entschuldigten sie sich bei der Verhaftung.

Längst nicht alle wollen so hoch hinaus wie das Pärchen aus Valencia. Die meisten geben sich damit zufrieden, nicht Hunger leiden zu müssen. Die Supermärkte verzeichnen eine Welle von Ladendiebstählen. Selbst billige Artikel werden mittlerweile mit einem Magnetstreifen für die Piepser am Ausgang versehen. Nichts ist vor den krisengeschüttelten Langfingern sicher.

Vor vielen Markthallen in Madrid stehen Männer mit einer Umhängetasche und verkaufen zu Schleuderpreisen Diebesgut. Besonders beliebt sind Brühwürfel bekannter Marken. Käufer, die zum halben Preis gerne zuschlagen, gibt es genug. War dieses Geschäft zu früheren Zeiten fest in den Händen von Drogenabhängigen im Endstadium, sind jetzt immer öfter gut gekleidete Durchschnittsspanier unter den fliegenden Händlern.REINER WANDLER