nebensachen aus islamabad : Mit dem Motorrad in den Himmel
Wann es mit den fahnengeschmückten Autokorsos und Motorrädern begonnen hat, weiß keiner mehr so genau. Jedoch sind sie heute fester Bestandteil der pakistanischen Unabhängigkeitsfeiern am 14. August. Zentrales Element ist Pakistans Fahne – ein weißer Halbmond und Stern auf einer grünen Fläche mit einem weißen Seitenstreifen.
Der Mond versinnbildlicht das Streben nach Vollkommenheit, wobei der Stern die Richtung vorgibt und für Licht und Wissen steht. In den Sternen suchen viele Pakistani ihre Zukunft. „Jedes Problem im Leben kann durch Sterndeuten oder Handlesen gelöst werden“, sagt Professor Schirin Khan in Lahore.
In den Sternen liegt auch Pakistans Zukunft. „Wir müssen den Weltraum erkunden und seine Vorteile zu den Menschen in Pakistan bringen“, sagte General Pervez Musharraf kurz vor den Feiern zum Unabhängigkeitstag bei der Bekanntgabe eines 13 Millionen Euro teuren Weltraumprogramms. Wer die Probleme auf Erden nicht lösen kann, greift nach den Sternen, sagen die einen. Den Himmel auf Erden erhoffen sich die anderen.
Als Versprechen für die Zukunft empfanden auch viele die Teilung des Subkontinents und die Staatsgründung Pakistans. Bei den Zeitzeugen macht sich heute Nostalgie breit. „Wir waren alle Enthusiasten und opferten uns für den Traum eines muslimischen Wohlfahrtsstaates. Aber jetzt sehe ich, es war nur ein Traum“, zitiert die englische Tageszeitung Daily Times einen Weggefährten des Vaters der Nation, Mohammad Ali Jinnah. Von Jinnah kommt der offizielle Staatsslogan „Einheit, Glaube, Disziplin“, aber auch kluge Aussprüche wie, „es sei einfacher, die Freiheit zu erlangen, als sie zu behalten.“ In 59 Jahren Unabhängigkeit wurde Pakistan bis jetzt 32 Jahre von einem General regiert.
Wer kein Zeitzeuge ist, sondern zur Jugend gehört, genießt den „Freiheitstag“ in der Gesetzlosigkeit. Kein Polizist erlaubt sich, in den Großstädten Fahrzeuge anzuhalten, bei denen aus allen Fenstern Männeroberkörper ragen und Staatsfahnen geschwenkt werden. Wird es dunkel, kommen noch Wettrennen und wildes Umsichschießen hinzu. Wer nicht zur Klasse der Toyota-Corolla- und Honda-Civic-Fahrer gehört, holt aus seiner 125er Honda alles raus. Natürlich ohne Sturzhelm. „Wheeling“ heißt das oft tödliche Spiel. In Lahore kamen acht, in Islamabad fünf Motorradfahrer ums Leben. Hunderte Verletzte verbrachten die Freiheitsnacht im Krankenhaus.
„Wenn man die Motorradfahrer sieht, bekommt man den Eindruck, dass sie mit ihrem Leben abgeschlossen haben“, so ein Passant auf Islamabads Hauptboulevard. In den letzten Jahren ist die jährliche Selbstmordrate in Pakistan von wenigen hundert auf über 3.000 gestiegen. Der Kick ist für manche der Himmel auf Erden und für immer mehr der Tod. NILS ROSEMANN