nebensachen aus der dominikanischen republik : Das „Beladen der Strohtasche“: ein polizeilicher Volkssport
Freundlich grinsend drängte der Polizist seine wuchtige Gestalt durch das Fenster meines Kleinwagens. Den weißen, leicht schmuddeligen Tropenhelm hatte er etwas nach hinten geschoben. „Wie geht's?“ Aber wie soll es einem Autofahrer schon gehen, dem sich ein Polizist mit schlechtem Atem durch die offene Seitenscheibe drängt? Auf der gesamten Strecke zwischen der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo und dem Strand von Palenque gibt es keine Ampel, die man überfahren könnte – wenn es denn überhaupt Strom gäbe, damit sie mal rot, mal grün leuchten könnte. Das einzige Verkehrsschild, so weit ich mich erinnere, wurde von einem Lkw umgefahren und ist inzwischen von Unkraut überwuchert.
„Und die Familie?“, ließ er seiner Eingangsfrage folgen, ohne meine Antwort abzuwarten. Die linke Hand hing inzwischen leicht angewinkelt im Innern des Wagens. Kein Schuldbewusstsein meinerseits, nachdem ich meine Fahrkünste einer blitzschnellen Überprüfung unterzogen hatte. „Zu schnell gefahren!“ Quatsch, der Mann wollte Kohle. Freitagnachmittag, da muss das Geld für das Feierabendbier im nächsten Colmado, dem Tante-Emma-Laden, der abends zur Kneipe wird, in der Tasche knistern. Und die Familie will ja auch noch was am Wochenende zu knabbern haben.
Macuto nannten die dominikanischen Bauern ihre inzwischen aus der Mode gekommenen Strohtaschen, die sie mit Stullen und Wasser proviantiert mit aufs Feld nahmen. Im imaginären Säckchen sollen auch die Pesos verschwinden, die der freundliche Polizist für die nicht begangene Regelverletzung des Straßenverkehrs einfordert. Die dominikanischen Autofahrer, wenn sie denn anhalten, drücken in die zum Fenster reinhängende Hand dann schnell einen kleinen knisternden Schein, und schon geht die Fahrt fröhlich weiter – mit nicht funktionierenden Bremslichtern, nur noch an einem Kabel hängenden Frontscheinwerfern und ohne das durch die vielen Schlaglöcher aus der Halterung gefallene Nummernschild.
Macutear – das dominikanische Verb für das Einsammeln des Zusatzverdienstes gen Wochenende – ist ein polizeilicher Volkssport, der durchaus professionell betrieben wird. Ganz im Gegensatz zur gewöhnlichen polizeilichen Arbeit. Und weil die Dominikanische Republik ein Land ist, das sich den Wohltaten der freien Marktwirtschaft verbunden fühlt, hat das „Beladen der Strohtasche“ im karibischen Sonnenparadies einen Schneeballeffekt. Wer eine gute Straßenecke zum Macuteo von seinem Vorgesetzten erhalten will, muss wie bei einem guten Vertretersystem seinen Umsatz bringen und das Säckchen des Chefs mit füllen. Böse Autofahrer werfen den Schein einfach aus dem Fenster, damit die Weißbehelmten was zum Krabbeln im Straßendreck haben.
Doch seit ich den Akkreditierungsausweis hinter die Windschutzscheibe gehängt habe, gehöre ich zu den Unberührbaren. Mit militärischem Gruß werde ich durchgewunken. Den Beitrag zur Wochenendzeche zahlt der viel zu dicht auffahrende nachfolgende Fahrer.
HANS-ULRICH DILLMANN