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Archiv-Artikel

nebensachen aus brandenburg Rost und Romantik: Der Barnim

In Brandenburg wird am 19. September ein neuer Landtag gewählt. Die taz stellt bis zur Wahl die 14 Brandenburger Landkreise vor. Zum Auftakt: Der Barnim.

Eingefleischte Berliner sagen, der Barnim beginne in der Hauptstadt. So betrachtet ist Barnim kein Landkreis, sondern eine geologische Formation, ein Hochplateau, das vom Thorn-Eberswalder Urstromtal im Norden bis zur Lottumstraße in den Prenzlauer Berg reicht. Und führt nicht auch der Naturpark Barnim bis nach Berlin? Als Landkreis dagegen reicht der Barnim von Bernau bis Hohensaaten an der Oder, von Joachimsthal bis kurz vor Marzahn, von Bernau über Eberswalde bis Oderberg. Kaum einer der brandenburgischen Landkreise kann von sich behaupten, so vielseitig zu sein.

Und so erfolgreich. Anders als die Lausitz oder die Uckermark hat der Barnim mit seinen 170.000 Einwohnern keinen Bevölkerungsverlust zu verzeichnen, sondern Zuzug. Die Bevölkerungsprognose verspricht Bernau im Berliner Speckgürtel mit derzeit 28.000 Einwohnern noch einmal einen Zuwachs von sechs Prozent.

Aber der Barnim hat auch seine Problemregionen. Die Industriestadt Eberswalde mit ihren nunmehr 42.000 Einwohnern soll bis 2020 sogar weitere 18 Prozent an Bevölkerung verlieren – eine Entwicklung, die auch die Gründung der Fachhochschule nicht aufhalten konnte.

Gleichwohl ist Eberswalde auch ein Symbol für den Umbau der Industrie- zur Kulturlandschaft. Seit der Landesgartenschau 2002 oder dem Ausbau des Finowkanals zum Eldorado für Wasserwanderer und Radfahrer hat der Name Eberswalde einen anderen Klang. Das ist gut für eine Stadt, die nach dem Mord an Amadeu Antonio in den 90er-Jahren noch ein Symbol für rechtsradikale Umtriebe in Brandenburg war.

Ansonsten sind es weniger die Städte als die Landschaften, die den Barnim prägen. Das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, der Werbellinsee, die Alte Oder bei Oderberg, die Eiszeitstraße, die von Marienwerder bis zur polnischen Grenze reicht. Keine Monokultur ist das, sondern Romantik pur – mit etwas Rost zwischendrin.

Nur eines will den Barnimern partout nicht gelingen – die Herausbildung einer regionalen Identität. Anders als die Uckermärker oder die Lausitzer sind die Barnimer keine Barnimer, sondern Bernauer, Eberswalder oder Choriner. Und das hat nicht nur mit der eher willkürlichen Zusammenlegung der Gemeinden bei der Brandenburgischen Kreisreform von 1993 zu tun. Schuld ist – wieder einmal – auch die Hauptstadt. Schon 1861 wurden die ersten Dörfer des Niederbarnim nach Berlin eingemeindet.

Der Hohe Barnim, der zurückblieb, war fortan nur ein halber. Und sein historisches Verwaltungszentrum Wriezen liegt heute nicht im Landkreis Barnim, sondern in Märkisch-Oderland.

UWE RADA

Morgen: Märkisch-Oderland