nachruf : Die Stimme der türkischen Armenier
Hrant Dink war einer der exponierten Vertreter der armenischen Gemeinde Istanbuls. Der Herausgeber der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos stand für die demokratische, multikulturelle Zukunft der Türkei. Gestern wurde er auf offener Straße in Istanbul ermordet.
Hrant Dink war kein bürgerlicher Intellektueller, sondern ein ehrlicher, mutiger, streitbarer Mann Anatoliens, dunkelhaarig, groß gewachsen, mit großen Händen. Er wurde 1954 im ostanatolischen Malatya geboren. Als er 7 Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Istanbul und ließen sich kurz darauf scheiden. Mit seinen zwei Geschwistern kam er in das armenische Waisenhaus im Istanbuler Stadtteil Gedikpasa. Nach seinem Abitur begann er ein Zoologiestudium. Er hatte in dem Waisenhaus Rakel kennengelernt – eine „kurdische Armenierin“, wie er immer scherzhaft und liebevoll sagte. Rakel gehörte einer Gruppe von Armeniern an, die in einem kurdischen Milieu aufgewachsen war. „Ich musste ihr zuerst Armenisch beibringen.“ Hrant heiratete Rakel – und wurde im letzten Jahr stolzer Großvater. Mit Rakel leitete er lange Jahre ein Kinderlager der Armenier vor den Toren Istanbuls.
Hrant engagierte sich in seinen jungen Jahren in linksextremen Organisationen und wurde Kommunist. Später begann er sich immer mehr für die armenischen Belange zu interessieren. Die armenische Gemeinde Istanbuls, von den Vertreibungen und Massakern weitgehend verschont geblieben, missbilligte seine Aktivitäten. Die Reichen und Saturierten des Istanbuler Armeniertums um das Patriarchat herum hielten sich zurück und hassten Dinks „extremen“ Positionen. Sie dachten, dass sein offensives Vorgehen der Gemeinde Unglück bringen würde. Doch Dink ließ nicht locker.
Am 5. April 1996 erschien die erste armenisch-türkische Wochenzeitung der Türkei, Agos. Herausgeber, Chefredakteur und Leitartikler war Hrant Dink. Er hatte endlich ein Forum gefunden, wo er seine Belange zur Sprache bringen konnte: Zuallererst kam es ihm darauf an, die armenische Kultur in der Türkei wiederzubeleben. In Serien machte er auf die Spuren der Armenier in Anatolien aufmerksam: Kirchen, Dörfer, Schulen, die heute verschwunden sind. In den letzten Jahren engagierte sich Dink immer stärker. Er begleitete Intellektuellengruppen nach Eriwan und fuhr selbst öfter hin.
Hrant Dink machte sich durch all diese Aktivitäten unbeliebt. Er wurde 2006 wegen eines Leitartikels zu sechs Monaten Haft verurteilt. Nachdem seine Strafe in letzter Instanz bestätigt wurde, wollte Dink vor dem Europäischen Menschenrechtsgericht in Straßburg klagen. DILEK ZAPTCIOGLU