muslime, strauß etc. : Was es zu verteidigen gilt
Intellektuelle haben es wahrlich nicht leicht. Sagen sie nichts, heißt es: Warum schweigen die Intellektuellen? Mischen sie sich ein in öffentliche Belange, müssen sie sich vorwerfen lassen, inkompetent zu sein. Auf allen Gebieten des öffentlichen Meinens ist weniger der Intellektuelle gefragt als der Experte. Denn wir leben im Zeitalter des Expertentums. Kein Thema – sei es Renten-, Gesundheits- oder Militärpolitik –, zu dem in den Medien nicht eigens bestellte Fachleute zu besichtigen wären.
Intellektuelle stellen dagegen die übergreifenden Fragen. Altmodisch gesagt: Sie fragen nach dem Sinn. Seitdem in Deutschland nur noch über Wirtschaftsprobleme, Arbeitslosengeld oder Rentenbezüge geredet wird, gibt es daran kaum noch Bedarf. Es ist deshalb kein Zufall, dass der Intellektuelle nun mit Botho Strauß im Spiegel als eine Art Priester der Werte wieder in Erinnerung gerät und dass es dazu der Auseinandersetzung mit dem Islam bedarf. Das bedrohliche Fremde – so Strauß – zwingt uns dazu, das eigene Beste wiederzubeleben. An oberster Stelle nennt er das Differenzierungsvermögen. Das Schönheitsverlangen. Europäische Kunst, Reflexion und Sensibilität. An die Stelle des fürchterlich dummen Bilderstreits setzt er den „Disput der Schriftkulturen“. Damit sind exakt die Fähigkeiten und Tugenden von Intellektuellen und Künstlern beschrieben.
Man kann und muss nun darüber streiten, ob Botho Strauß mit seinem Essay den eigenen Ansprüchen genügt oder ob es ihm nicht selbst an Differenzierungsvermögen mangelt, wenn er allzu pauschal die muslimische Machtergreifung in Deutschland drohen sieht. Fragwürdig auch, ob dem Vormarsch des religiösen Fundamentalismus ausgerechnet mit dem Schutz sakraler Empfindungen sinnvoll zu begegnen ist. Wichtiger ist jedoch sein Hinweis darauf, dass die Auseinandersetzung nur dann geführt werden kann, wenn man sich zuvor klar gemacht hat, was eigentlich verteidigt werden sollte. Strauß kritisiert die „Beliebigkeit“ und „Gleich-Gültigkeit“ unserer Gesellschaft. Doch vielleicht steckt gerade darin etwas, das es gegen den totalitären Wahn des Religiösen zu verteidigen gilt. Man könnte auch Wahrheitsskepsis dazu sagen. JÖRG MAGENAU