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Archiv-Artikel

mother’s little helper von ILKE S. PRICK

„Niemals hätte ich das von ihr gedacht!“ Eine Hand knallt neben meiner Tasse auf den Tisch. Patsch. „Nie und nimmer!“ Matildes Hand. Überschwemmung. „Und ich dachte, ihr reicht die Herz-Gruppe im Seniorenzentrum.“ Noch mal patsch. Ich sollte kleine Boote aus der Papierserviette falten. „Dabei ist sie viel zu alt für so was.“

„Ähhh?!?“, versuche ich mir einen Überblick zu verschaffen, was Matilde mit „so was“ meint. Weit komme ich aber nicht. „Und dann soll ich ihr das auch noch übers Internet besorgen. Ich – ausgerechnet ich!“ Mit dem Patschen hört sie nun auf, dafür sucht sie in der Speisekammer nach Himbeergeist. „Ich bin ihre Tochter!“ Endlich wird’s gemütlich.

„Aber …“, versuche ich beim zweiten Glas dem Rätsel doch noch auf den Grund zu gehen. Eine Chance habe ich nicht. „Es sei nur zur Prophylaxe, hat sie mit Unschuldsmiene gesagt. Prophylaxe – ich bitte dich.“ Matilde ist nicht zu bremsen. „Ich kann es nicht fassen.“ Sie schenkt nach. „Könntest du vielleicht …“, nehme ich einen neuen Anlauf. „Aber du hast ja noch“, stellt sie mit Blick auf mein Glas fest. „Stimmt!“, antworte ich: „Himbeergeist. Aber ich habe immer noch keine Ahnung, worum es eigentlich geht.“

„Meine Mutter wollte ernsthaft, dass ich ihr das da bestelle.“ Matilde wirft mit Ekelblick einen Computerausdruck auf den Tisch, mitten in die Pfütze. „C.O.M.E. – das Revolutionäre Training für den Beckenboden“ steht da und: „Tabuthema Inkontinenz“ und „Wissenschaftliche Studie“. „Aber was ist daran so schlimm?“, will ich wissen. Ein Mann im weißen Kittel grinst neben den Erklärungen zum „eingebauten Indikator der korrekten Muskelkontraktionen im Vaginalbereich“, zum „elastischen Widerstand“ und zur „einfachen Einführung wie ein Tampon“. „Ist doch besser als Inkontinenz-Einlagen?“, frage ich zögernd.

„Blätter weiter“, grunzt Matilde, und ich lande auf der nächsten Seite, wo derselbe Herr nicht mehr im weißen Kittel als „Hon. Prof. Dr.“ von Prophylaxe redet, sondern uns als Therapeut in legerer Kleidung den weiblichen Orgasmus als vulkanartigen Ausbruch näher bringt. Und noch so einige erstrebenswerte Dinge mehr. „Liest sich doch ganz nett“, werfe ich beim nächsten Glas ein. Matilde schaut angewidert: „Inkontinenz – ha! Soll sie doch sagen, was für ein Training sie machen will. Mit über 60! Erst das mit dem Huber aus der Herz-Gruppe, und nun das.“ Ich räuspere mich: „Aber wieso sollte sie nicht? Ich meine, nur weil du nicht …“ Den Rest des Satzes übertönt glücklicherweise die Türklingel.

„O“, quietscht Sylvia, als sie sich zu uns setzt und mit Kennerblick die Zetteln streift, „wollt ihr euch Dildos bestellen?“ Mein Tritt gegen ihr Schienbein geht leider daneben. „Und schöne Grüße von deiner Mutter“, trötet sie fröhlich weiter. „Meine Mutter?“ Matilde zuckt zusammen. „Wo steckt die denn schon wieder?“ – „In der Volkshochschule“, antwortet Sylvia arglos. „Sie wollte sich zum Internetkurs anmelden.“ – „Internet? O nein!“, stöhnt Matilde. „Warum nicht?“, fragt Sylvia irritiert. „Also ich finde es gut, wenn Leute auch im Alter noch klarkommen wollen.“ – „Mhm“, murmle ich, „klar: kommen“, und schenke die nächste Runde ein.