moskitos und wackelpudding von JOACHIM SCHULZ:
Selbstverständlich bin auch ich kein großer Freund der blutsaugenden Geschöpfe, doch niemals käme ich auf die Idee, ein Kopfgeld auf ihre Ausrottung auszusetzen. Zwar weiß ich durchaus, wie entnervend ihr Motorengeräusch sein kann, wenn man sich zur Ruhe begeben hat. Da ich mir jedoch die Ohren wegen des kolossalen Lärmaufkommens in unserer Straße sowieso jede Nacht fest verstöpseln muss, pflege ich auch dieses Gesumse nicht wahrzunehmen. Daneben allerdings gibt es noch einen anderen, viel wichtigeren Grund, warum ich ihnen nicht ernsthaft böse sein kann: Der rote Saft in meinen Adern hat womöglich aufgrund des jahrelangen Verzehrs von alkohol- und nikotinhaltigen Genussmitteln auf Mücken dieselbe Wirkung wie eine Breitseite DDT.
Fest jedenfalls steht, dass ich mich vor einer Nacht mit einem Moskito im Zimmer durchaus nicht zu fürchten brauche. Die Liebste hingegen sieht morgens unweigerlich aus wie die Hauptdarstellerin aus dem Splatter-Film „Die Killer-Windpocken greifen an“, weil ihr Blut offenbar nach Moskitomaßstäben den Geschmack von Wackelpudding mit Sahne hat. Es ist insofern kein großes Wunder, dass sie von einer Mordlust der finstersten Sorte gefangen genommen wird, sobald sie eines der Biester in ihrer Nähe wittert. An diesem Punkt aber komme wieder ich ins Spiel, denn sonderbarerweise scheint auch die moderne Frau der Auffassung zu sein, dass Kerle in erster Linie eine Funktion als Ritter und Drachentöter zu erfüllen haben. Insofern hilft es mir gar nichts, dass ich mich tot stelle, wenn sie – kaum dass wir uns unter den Daunendecken verkrochen haben – an mir rüttelt und zerrt. „Steh auf, da summt was!“, trompetet sie mir so lange ins verstöpselte Ohr hinein, bis ich mich geschlagen gebe, das Licht noch mal anknipse und mich bewaffne. Bedauerlicherweise aber sind schlaftrunkene Ritter nicht besonders zielsicher, und deshalb ist leider noch nichts gewonnen, als ich den kleinen Halunken erblicke: „Patsch!“ macht die Patsche, „Bss!“ macht die Mücke und „Flasche!“ ruft die Liebste. Auch ich spare nicht mit Selbstbeschimpfungen, denn mein Widersacher bleibt nach einem solchen Fehlversuch für längere Zeit unauffindbar, und so vergeht mindestens eine halbe Stunde mit fruchtlosem Suchen, ehe er wieder in meinem Fadenkreuz auftaucht und ich ihm mit einer zweiten Attacke den Blutdurst für immer austreiben kann.
Kaum aber bin ich zurück in die Bettstatt gekrabbelt, rüttelt es abermals an mir. „Da summt immer noch was!“, empört sich die Liebste, doch diesmal bleibe ich liegen. „Das bildest du dir ein, ich hab alles abgesucht!“, erwidere ich und reiche ihr zwei Ohrenstöpsel, damit sie den Phantomgeräuschen ein Ende machen kann. Am nächsten Morgen allerdings braucht sie nur wortlos auf ihr zugeschwollenes Auge zu zeigen, um mir zu bedeuten, dass gegen mich mal wieder ein standrechtliches Verfahren wegen erwiesener Feigheit vor dem Feind eröffnet wird und ich mir mildernde Umstände nur mit einem sofortigen Schuldbekenntnis erkaufen kann.
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