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Archiv-Artikel

mitschriften aus der letzten reihe Schizophrenie und Bindestriche bei der Diskussion zu „Leitkultur und Parallelwelt“ im Roten Salon

Heiß ist es im Roten Salon ohnehin schon. Die Emotionen haben schnell denselben Hitzepunkt erreicht. Über „Leitkultur und Parallelwelt“ will Moderator Andreas Fanizadeh mit seinen Gästen Thomas Arslan, Shermin Langhoff und Marion von Osten sprechen. Wäre das Thema so überschaubar wie der Veranstaltungstitel glauben macht, könnte man den ganzen Abend in Ruhe über Migration und Integration plauschen. Weil die Welt aber nicht so einfach ist, verhakt sich das Podium zwischen Kampfformeln und allgemeiner Ratlosigkeit.

Um die Möglichkeit künstlerischen Arbeitens der zweiten und dritten Generation von Migranten soll es in dieser Folge der „Denkzonen“-Reihe der Volksbühne gehen. Gelungene Integration oder doch eher eine Form von positivem Rassismus, wenn sich neuerdings so viele Kulturproduktionen mit ihrem „Vorzeigetürken“ schmücken?

Dass diese Frage zwar gut gestellt, aber schwierig zu beantworten ist, bekommt Moderator Fanizadeh schnell zu spüren. Das Gespräch will sich nicht dem Argumentationsbogen fügen, den sich Fanizadeh für den Abend entworfen hat. Stattdessen wird deutlich: Die alten Klarheiten sind einem Durcheinander von Selbstdefinitionen gewichen.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Diskussionsteilnehmer nicht nur als Kulturschaffende gefragt sind. Mit Ausnahme von Marion von Osten sind alle ihre Biografien eng mit der Geschichte der Migration in Deutschland verknüpft. Sie spüren also den Identitätskonflikt am eigenen Leib, der sich an widersprüchlichen Selbst- und Fremdzuschreibungen entzündet.

Die 1969 geborene und seit 1978 in Deutschland lebende Shermin Langhoff spricht von Schizophrenie. Als Matthias Lilienthal sie als Kuratorin des Festivals „Beyond Belonging“ gewinnen wollte, habe sie dem HAU-Chef zunächst eine Absage erteilt, weil sie die Bindestrichkultur des Deutsch-Türkischen nicht unterstützen wollte. Die Verschmelzung der Kulturen sei mittlerweile so stark, sagt Langhoff, dass es sich bei solchen Unternehmungen eher um eine rückschrittliche Ethnisierung handle.

Der Fall Sürücü habe sie allerdings dazu gebracht, ihre Position noch einmal zu überdenken. Die mediale Verzerrung türkischer Kultur habe ihr gezeigt, wie dringend notwendig es sei, etwas für die Umcodierung von Wahrnehmungsmustern zu tun, die „Parallelgesellschaften“ als Gefahrenzonen in Szene setzen.

Wer diese Umcodierung vornehmen darf, ist umstritten. Das wird klar, als sich Langhoff und Marion von Osten von der Bundeskulturstiftung auf dem Podium ins Gehege kommen. Langhoff legt vor: Um Projekte dieser Art sollten sich jene kümmern, die sich selbst aus einem Migrationshintergrund definieren. Von Osten kann das nicht. Also will Langhoff wissen, ob ein großes Projekt über Migration, wie von Osten es organisiert hat, nicht von jemandem hätte kuratiert werden müssen, der mehr Kompetenzen auf diesem Gebiet hat. Sie jedenfalls sei für die Auswahl der Künstler nicht um Rat gefragt worden.

Zeit für Fanizadeh, die Grabenkämpfe zu schlichten und an das gemeinsame Interesse zu erinnern. Dass die unter Rot-Grün ins Leben gerufene Kulturstiftung des Bundes überhaupt so viel Mittel zur Verfügung gestellt habe, um die Geschichte der Migration in Deutschland künstlerisch und historisch aufzuarbeiten, sei ein großer Schritt. Nun müsse man sich eher sorgen, ob die kulturelle Arbeit nach dem Regierungswechsel überhaupt weitergehen kann. Das sei die gemeinsame Herausforderung. Das findet Langhoff auch. Schizophrenie hin, Schizophrenie her. Sie hat sich entschieden, noch zwei Jahre Kunst am HAU zu organisieren. Notfalls auch mit Bindestrichen.

Thomas Arslan, der die meiste Zeit geschwiegen hat, zeigt lieber einen Ausschnitt aus seinem Film „Geschwister“ über das Leben türkischstämmiger Jugendlicher in Berlin. Wer die Bilder sieht, der weiß: Ein Großteil der Streitereien erledigt sich ohnehin wie von selbst, wenn die Kunst gelingt. WIEBKE POROMBKA

Das Semester läuft wieder. Auch die „Mitschriften“ gehen in die nächste Runde – und zwar neu kalibriert: In losem Zwei-Wochen-Rhythmus suchen wir diesmal nach gesellschaftspolitisch ambitionierter Diskursproduktion. Mitgeschrieben wird Schlaues, Überraschendes – und vielleicht auch Missliches.