mitschriften aus der letzten reihe : Von der Topfpflanze zur globalen Seele
In gut gemeinter Harmlosigkeit sprachen die Autoren Abdourahman Waberi und Pico Iyer über „Moderne Nomaden“
Den weltoffenen Literaturliebhaber erkennt man dieser Tage daran, dass er unentwegt zwischen den zahllosen Veranstaltungen des Internationalen Literaturfestivals hin und her flaniert, immer auf der Suche nach dem literarischen Weltklang, den die Macher in diesem Jahr zum sechsten Mal nach Berlin tragen wollen.
Was sich auf dem Festivalgelände im Kleinen abspielt, das soll in der Reihe „Reflections“ in seiner globalen Bedeutung verhandelt werden. „Moderne Nomaden“ ist das Thema einer Gesprächsrunde, in der die Autoren Abdourahman Waberi und Pico Iyer über die nicht mehr ganz so junge Lebensform des Weltbürgers diskutieren sollen: das Hopping zwischen den Kulturen, ohne je sesshaft zu werden.
Iyer und Waberi sind schon qua Biografie ausgewiesene Experten des modernen Nomadisierens. Iyer, als Sohn indischer Eltern in England geboren, verbrachte seine Kindheit in Kalifornien. Heute hat er eine Wohnung in Japan, die längste Zeit des Jahres aber ist er auf Reisen und sammelt Erzählbruchstücke über Menschen, die – wie er selbst – große Teile ihres Lebens auf Flughäfen oder in Hotelzimmern fremder Städte verbringen. Waberi, der aus dem kleinen ostafrikanischen Staat Dschibuti stammt und seit 1994 im französischen Exil lebt, geht es in seinen Texten um die Aspekte von Zwang und Heimatlosigkeit, in deren Licht das Wandern zwischen den Kulturen einiges an seiner Romantik einbüßt.
Und während vereinzelte Literaturfestival-Nomaden im Foyer des Hauses der Berliner Festspiele noch einen geeigneten Platz suchen, um den Erfahrungen zweier Weitgereister zu lauschen, ist es auf dem Podium rund um Moderator Arno Widmann schon reichlich eng geworden. Je ein Dolmetscher ist den Autoren an die Seite gesetzt. Da leidet nicht nur die Armfreiheit, auch das Gespräch. Muss doch jeder Übersetzer im Anschluss an oder mitten hinein in die Ausführungen der drei Gesprächspartner jeweils für einen anderen Gesprächspartner die Sprache wechseln, um das zu wiederholen, was schon die anderen in anderen Sprachen gesagt haben.
So hangelt man sich von Statement zu Statement, in denen der physischen, vor allem aber der psychischen Beweglichkeit des modernen Menschen gehuldigt wird. Nicht umsonst ersetzt Iyer den Begriff des Nomaden lieber durch den der „globalen Seele“. Grenzüberschreitendes Denken, Multikulturalität und Toleranz sind die Stichworte, die gebetsartig in drei Sprachen wiederholt werden und die sich nicht nur auf dem Podium, sondern auch im Publikum einhelliger Zustimmung erfreuen.
So verläppert sich der Abend in Harmlosigkeiten. Das liegt auch daran, dass sich die Theoretiker in der Vergangenheit zu gründlich an den Zusammenhängen von technischer Beschleunigung, Globalisierung und Ortlosigkeit abgearbeitet haben. Von politischen oder sozialen Konsequenzen, die sich an die neue Existenzform des globalen Nomaden knüpfen, hört man an diesem Abend jedenfalls wenig. Nur Moderator Arno Widmann versucht, den kulturkritischen Blick zu schärfen. Er selbst gehöre ja eher der altmodischen Spezies der Topfblume an. Ortsverbunden und aufs Gegossenwerden angewiesen. Möglicherweise aber, spinnt Widmann sein Bild weiter, sei in Zeiten des Sozialabbaus ein Leben in der Tradition des klassischen Nomaden, der selbst von Wasserquelle zu Wasserquelle ziehen muss, die einzige Alternative.
Konkretisieren kann Widmann die Konsequenzen des sozialen Nomadentums leider nicht mehr. Die Wanderer im Publikum werden unruhig, das nächste Etappenziel des Literaturfestivals will erreicht werden, die nächste laue Quelle plätschert schon im nächsten Saal auf dem nächsten Podium. WIEBKE POROMBKA