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Archiv-Artikel

mischehe mit schweinsbraten und semmelknödeln von RALF SOTSCHECK

Früher gab es keine Ossis. Da war die Welt der Wessis noch in Ordnung. Sie lebten scheinbar harmonisch miteinander und respektierten sich gegenseitig, wenn man von den kleinen Gehässigkeiten zwischen Saupreußen und bayerischen Hinterwäldlern einmal absieht. Von der Nordsee bis zu den Alpen – eine große, glückliche Familie, zu der selbst die Bewohner solch putziger Dörfer wie Speyer, Spaichingen und Spangdahlem gehören, wo man nun wirklich nicht begraben sein mochte. Denn die hatten weder Meer noch Berge, sondern höchstens eine lokale Brauerei, die das Zubehör für den Freizeitspaß lieferte.

Wir als Westberliner waren hingegen mit allem gesegnet: mit wilden Meeren wie dem Wannsee; mit gewaltigen Seen wie dem Halensee; mit reißenden Strömen wie der Havel; und mit majestätischen Gebirgen wie dem Kreuzberg. Deshalb beobachteten wir überrascht den Zwist, der hinter der harmonischen Fassade zwischen Nord- und Süddeutschen tobte. Dabei lebten sie doch alle in Westdeutschland. Für uns Berliner spielten andere Himmelsrichtungen in der bundesdeutschen Geografie keine Rolle.

Die Missverständnisse zwischen Süd- und Norddeutschen haben trotz der Ossis, des gemeinsamen Feindes, bis heute überlebt. Astrid und Wolfgang wollten etwas zur Völkerverständigung beitragen und sind eine Mischehe eingegangen. Sie stammt aus Hamburg, er aus München, beide leben in der bayerischen Metropole. Zu Astrids Geburtstag wollte Wolfgang ihr eine Freude machen und entführte sie an einen geheimen Ort: in ein Almrestaurant. Es war wunderbar, schwärmte Wolfgang später, die Aussicht war einmalig, der Schweinsbraten mit Semmelknödeln eine Delikatesse.

Bei Astrid klang das anders. „Für jemanden, der die Berge mag, war es sicher sehr schön“, sagte sie, fügte aber verbittert hinzu: „Ich hasse die Berge. Sie hatten nicht mal eine Nordsee-Filiale auf der Alm. Statt Kartoffeln servierten sie irgendwelche Brotbälle, und statt Fisch gab es totes Schwein, das sie zu schälen vergessen hatten, sodass man die steinharte Pelle vor dem Verzehr entfernen musste.“

Die Iren sind in diesem Streit eindeutig auf Wolfgangs Seite. Sie sind im Grunde eher Bayern, auch wenn sie vom Meer umgeben sind. Sie sind überwiegend katholisch, essen gern Schweinsbraten und verschmähen Fisch, und sie lieben den Dudelsack, ein Außenseiterinstrument wie die Zither. Meine irische Schwiegermutter hasste das Wasser geradezu. Als junges Mädchen wäre sie fast ertrunken. Seitdem hatte sie panische Angst vor Wasser. Fuhr man über eine Flussbrücke, bekreuzigte sie sich unaufhörlich. Als sie einmal operiert werden musste, sollte sie sich schonen. Eine ihrer Töchter schenkte ihr einen dreiwöchigen Urlaub in einem Erholungsheim. Die Überraschung misslang genauso gründlich wie Wolfgangs Geburtstagsgeschenk. Die Tochter hatte extra ein Zimmer mit Meeresblick gebucht. Die Schwiegermutter hat drei Wochen lang die Vorhänge nicht geöffnet und war ein Nervenbündel, als sie endlich wieder nach Hause durfte.

In Irland gibt es übrigens auch Ossis. Aber von denen sind wir glücklicherweise durch die Irische See getrennt.