mg-Prozess: Nicht-Plädoyer ist auch ein Plädoyer
Die Verteidiger der Angeklagten im mg-Prozess haben aus Protest gegen die Prozessführung auf ihre Plädoyers verzichtet. Andere Anwälte halten das grundsätzlich für zulässig - aber nicht immer für sinnvoll.
Verteidiger müssen nicht plädieren. Aber alle tun es - in der Hoffnung, das Beste für ihre Mandanten herauszuholen. Im Prozess gegen drei mutmaßliche Mitglieder der "militanten Gruppe" (mg) haben die Verteidiger am Mittwoch auf die Schlussplädoyers verzichtet. Aus Protest gegen das ihrer Meinung nach unfaire Verfahren. Unter Anwälten ist dieses Verhalten umstritten. Einerseits könne es ein probates Mittel sein, Protest gegen eine als ungerecht empfundene Verfahrensführung auszudrücken. Andererseits beraube man sich damit der Chance, die Argumente der Staatsanwaltschaft zu entkräften.
Die Bundesanwaltschaft hat für die drei Angeklagten Haftstrafen von drei und dreieinhalb Jahren wegen versuchter Brandstiftung auf Bundeswehrfahrzeuge und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gefordert. Heute soll das Urteil verkündet werden. Die Verteidigung verlas nur eine kurze Erklärung, in der von einem "Klima der Vorverurteilung" in dem Prozess gesprochen wurde. "Ein Schlussplädoyer unsererseits" werde das Gericht auch nicht mehr beeinflussen, hieß es.
Die Bedeutung eines Plädoyers werde von der Öffentlichkeit "weit überschätzt", gibt der 57-jährige Strafverteidiger Christoph Kliesing, den Anwälten recht. "Die Entscheidung eines Gerichts wird sich nur in ganz extremen Ausnahmefällen durch ein Plädoyer überhaupt verändern." Verteidiger und Angeklagten seien frei, sich bestimmten Ritualen nicht vollkommen zu unterwerfen.
Auch der langjährige Strafverteidiger und grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele sagt, ein Plädoyer zu verweigern könne "sinnvoll" sein. Aus Protest, "wenn der Eindruck besteht, der Prozess war nicht fair, das Gericht ist voreingenommen oder das Urteil steht schon fest". Aber ob das im mg-Prozess der Fall gewesen sei, so der 70-jährige Ströbele, "darüber kann ich mir kein Urteil anmaßen".
Der 62-jährige Strafverteidiger Matthias Zieger hat das von den Verteidigern im mg-Prozess vorgetragene Nichtplädoyer gelesen. Eigentlich sei es auch nichts anderes als ein Plädoyer, so Zieger. "Die sachlichen, kritischen Ausführungen, mit denen sich die Verteidigung zum Verfahrensgang äußert, kann ich voll unterstreichen." Was die Verteidigung allerdings nicht getan habe, sei, sich mit der Beweisaufnahme auseinanderzusetzen. "Ich persönlich hätte auf so ein Plädoyer auf keinen Fall verzichtet. Schon allein, um meiner Beistandspflicht für den Mandanten zu genügen", so Zieger. Möglicherweise ließe sich dadurch doch noch etwas bewegen, auch wenn die Chance gering sei. "Der Eindruck der Verteidiger, dass das Gericht voll gegen die Angeklagten ist, mag richtig sein, aber man kann sich auch irren." Die Stimmung im Beratungszimmer lasse sich von außen kaum einschätzen. Immerhin müsse das Gericht mit Zweidrittelmehrheit entscheiden.
Auf die Frage, ob ihnen andere Prozesse in Erinnerung seien, wo Verteidiger Plädoyers verweigerten, fällt sowohl Ströbele als auch Zieger sofort der Prozess gegen die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim ein. Statt den Schlussvortrag im Gerichtssaal zu halten, hatten die Verteidiger, darunter Otto Schily, es vorgezogen, die Plädoyers in einem Hotel vor der Öffentlichkeit zu halten. "In dem Fall bin ich der Meinung, das war richtig", sagt Zieger. Im Stammheim-Prozess waren die Gespräche zwischen Verteidigung und Angeklagten abgehört worden. "Das war extrem. Das war ein direkter Eingriff in das Mandatsverhältnis und grob rechtswidrig", so Zieger.
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