meinungsstark:
Karfreitag und Ukraine
„Wolodimir Selenskis Eigentor“,
taz vom 14. 4. 22
„Und sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, und kreuzigten ihn dort. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! … Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber.“ Am Karfreitag blicken Christen auf das Kreuz. Auf das Leid und das Sterben Jesu. Das Lukasevangelium macht es einem schwer, eine Distanz zur momentanen Situation einzunehmen. Denn auch bei uns stirbt jemand. Ziemlich unschuldig. Ein öffentliches Sterben. Alle bekommen es mit. Und reagieren auf ihre Weise. Damals spotten die Oberen. „Hilf dir doch selber.“ Verhöhnung und Zynismus aus Gleichgültigkeit, Unmenschlichkeit oder Ablenkung vom eigenen Versagen. Diesen Spott hören auch wir von einigen Oberen gerade. Von Politikern und Medien, die sich mokieren, wieso die Ukraine nicht einer Symbolreise des Bundespräsidenten zustimmt. „Wenn die unseren Präsidenten nicht wollen (der außer Worte nichts mitbringt, der sich wieder umdrehen wird, und dann geht das Sterben weiter) – dann sollen sie sich doch selber helfen.“ Es ist zum Erschaudern, wie manche sich über die politische Führung und den Botschafter der Ukraine empören. Es sind Menschen, die jeden Tag neue Berge von Leichen in ihrem Land entdecken müssen und mit dem Rücken zur Wand stehen. „Das Volk stand da und sah zu.“ Sie werden zu Zeugen. Manche wahrscheinlich entsetzt. Andere ziemlich abgestumpft-entfernt. Wieder andere erleichtert, dass ihnen nichts passiert. Heute sehen auch wir zu. Kaufen mal ein Päckchen Windeln und sind ansonsten in einer Schockstarre. Es bräuchte Menschen, die ihre Stimme erheben. Die ihren Oberen sagen, dass sie nicht mehr zusehen können. Nicht mehr auf das eigene Wohlbefinden schielen. Nicht mehr mitfinanzieren. Sicher ließe sich das Sterben nicht sofort beenden – aber tun wir wirklich alles, was gerade dran wäre? B. S., Amberg
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