mein fast perfekter sommer (8) : BARBARA BOLLWAHN über die Unsitte, im Sommer drinnen zu speisen
Wespen und Sonne hermetisch abgeriegelt
Geburtstagsfeier im August. Schon Wochen vorher hat das Familienoberhaupt, das seinen 65. feiert, vorgesorgt. Im „Muldenschlösschen“, einem Restaurant im sächsischen Rochsburg, idyllisch gelegen an der Zwickauer Mulde, wurde für die geladenen Gäste, 17 an der Zahl, ein Tisch bestellt. Aber nicht auf der Terrasse, von der aus man einen herrlichen Blick auf die gegenüberliegende Rochsburg hat und das Plätschern der Mulde hören kann, sondern drinnen.
Nein, denke ich, nicht schon wieder. Erst beim letzten Geburtstag haben wir bei schönstem Wetter im hermetisch abgeschlossenen Restaurant gesessen und neidisch nach draußen geschielt. Dieses Mal war ich fest entschlossen, mich nicht dem Willen des Geburtstagskindes zu beugen. Ich versuchte es mit einem Gespräch. „Ach, du immer mit deinem Draußen-Essen!“, war seine erste Reaktion. Dann lieferte er Begründungen für sein Tun: „Die armen Kellnerinnen müssen dann so weit laufen“ lautete Argument Nummer 1. Ich dachte, ich hätte mich verhört. Argument Nummer 2 verschlug mir die Sprache. „Wir können doch nicht die ganze Terrasse in Beschlag nehmen.“
Als ich meine Sprache wiedergefunden hatte, rief ich im „Muldenschlösschen“ an. Um die Autorität meines Erzeugers nicht zu untergraben, hatte ich mir folgende Taktik überlegt: Ich bitte den Chef, die Reservierung einfach für draußen zu machen und am Tag der Feier das Geburtstagskind mit der Terrassenofferte zu überraschen. Weil ich mir der Unterstützung meiner Onkels, Tanten, Geschwister und Nichten sicher war, sah ich uns schon, Burg und Mulde fest im Blick und eine frische Forelle zwischen den Zähnen, in Gottes freier Natur. Doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Die Dame am Telefon würgte mit einem entzückenden sächsischen Dialekt mein Anliegen gnadenlos ab. „Nee!“, rief sie in den Hörer, „auf der Terrasse das geht nicht. Mir haben da so viele Wespen!“ Ich konterte: „Na ja, dann stellen Sie eben noch paar Stühle dazu.“ Der Witz verlor sich in der Telefonleitung und kam bei ihr nicht an. Stattdessen führte sie Argument Nummer 2 ins Feld: „Außerdem haben wir keinen so großen Sonnenschirm.“ Geknickt legte ich auf. Aber ich musste mir nicht vorwerfen, es nicht wenigstens versucht zu haben.
Also saßen wir, bei schönstem Wetter und mit guter Miene zu bösem Spiel, wieder drinnen. Auf der Terrasse war keine einzige Wespe, dafür standen da umso mehr Sonnenschirme, von denen man zwei, drei einfach hätte zusammenstellen können. Die Verwandtschaft frotzelte die ganze Zeit darüber, wie schön es doch drinnen sei. So ohne Wespen und Sonnenschein.
Kaum war der letzte Espresso geschlürft und die letzte Eiskugel verspeist, ging’s endlich raus ins Freie. Runter zur Mulde, zu der tollen Schaukelbrücke aus Holz. Doch unser Bewegungsdrang wurde abrupt gestoppt. Durch ein großes Schild. „Mutwilliges Schaukeln wird mit einer Strafe von 250 Euro geahndet.“ Kaum waren wir sicher, richtig gelesen zu haben, schaukelten wir natürlich, was das Zeug hielt. Auf die Frage, wer wohl das Geld kassiert, fanden wir keine Antwort.
Dafür habe ich mir schon Gedanken gemacht über den nächsten Sommer. Vielleicht sollte der Geburtstag im „Muldenschlösschen“ nicht mit einem Mittag-, sondern einem Abendessen gefeiert werden. Auf der Internetseite drängen die Betreiber, wenn auch grammatikalisch etwas holprig, dem virtuellen Besucher ihre Terrasse geradezu auf: „Besonders romantisch sind schöne Sommerabende auf unserer Terrasse. Der Blick auf die beleuchtete Rochsburg bei einem schönen Glas Wein lassen Sie den Alltagsstress schnell vergessen.“