mein fast perfekter sommer (6) : EMILIE PLACHY über schöne Abnahmen
800 Gramm in einer Woche: Das gibt ein Weightwatchers-Sternchen!
Bikini oder Badeanzug? Diese Frage beantwortet der Spiegel: Selbstredend den Badeanzug, wenn du dich nicht der Lächerlichkeit preisgeben willst!
In diesem Sommer werden die Röcke vom letzten Jahr im Schrank bleiben müssen. Welcher vernünftige Mensch möchte schließlich essen gehen und dabei einen zu engen Rockbund in der Magengrube klemmen haben? Bei Hosen kann man wenigstens den Knopf öffnen. Jetzt ist der Sommer da und der Speck immer noch nicht weg.
Dabei war der Vorsatz sogleich Ende des Winters gefasst. Fest. Fünf Kilo müssen runter! Umgehend, noch bei Minusgraden, setzte das Lauftraining ein. Es wurde mittags nicht mehr warm gegessen, sondern Salat. Gummibärchen statt Schokolade, Bertolli-Margarine statt Butter aufs Vollkornbrot. Und natürlich nur noch alkoholfreies Bier.
Was hat es genützt? Nichts. Was wird zum Schwimmen getragen? Der Badeanzug. Hilfe muss her, schnell.
Pünktlich 19 Uhr betrete ich den Raum. Den Termin habe ich unter www.weightwatchers.de gefunden. 30 Leute sind gekommen. Die meisten sehen eigentlich ganz normal aus, die wenigsten fett. Jeder – es sind auch drei Männer dabei – ist, bevor die Versammlung beginnt, auf die Waage am Verkaufstisch getreten. Frau Müller, die lokale Weightwatcherin, lächelt, schreibt das Gewicht ins Mitgliedskärtchen. „So“, sagt sie, als endlich Ruhe einzieht, „dann wollen wir mal. Herr W. hat seit letzter Woche 800 Gramm abgenommen. Eigentlich eine sehr schöne Abnahme! Herr W., wie geht es Ihnen jetzt?“ Herr W. ist „sehr zufrieden“. Auch Frau B. und Frau K. hatten „schöne Abnahmen“. Alle drei haben ihr Zielgewicht erreicht und bekommen von Frau Müller vor versammelter Mannschaft ein Weightwatchers-Sternchen in der Pappschachtel überreicht. Applaus der Gruppe!
„So“, sagt Frau Müller, „alle zusammen haben Sie in dieser Woche 36,6 Kilo abgenommen. Schöne Abnahme, aber letzte Woche waren es 40,7. Woran liegt’s?“ Sie wendet sich an eine blühend aussehende junge Frau. „Ich hab Butter gegessen. Ich mag keine Lätta“, sagt die kaum hörbar. Ein Raunen geht durch die Reihen. Frau Müller weiß Rat. „Jaja, unser alter Kumpel Fett. Haben Sie das schon mal probiert: ein winziges Stückchen Brot dünn mit Butter beschmieren, an dieser Stelle reinbeißen, damit sie den Buttergeschmack haben, und den Rest mit Margarine?“ Sie wird euphorisch. „Oder Eisbein. Da kochen Sie einfach ein Stück Geflügelfleisch in Brühe.“ In der hinteren Reihe rülpst Herr W. Frau Müller ist zu weit gegangen. „Na ja, gut, Eisbein ist nicht so das gute Beispiel. Aber was ist mit Geleebananen, Götterspeise …“ „Schokocornflakes?“, fragt jemand. „Eijeijei, dann aber nur einzeln knabbern.“
Herr L. meldet sich. „Ich wollte mal was Doofes sagen. Seit ich bei Weightwatchers bin, sehe ich weniger fern. Früher hat mich da die Werbung immer zum Essen animiert.“ Applaus von Frau Müller. „Sie haben ja auch eine schöne Abnahme gehabt, Herr L. Das Problem mit Fernsehen und essen kenne ich. Jaja, die sollten mal mehr Weightwatchers-Werbung senden.“ Amüsiertes Glucksen.
„So“, sagt Frau Müller und klatscht in die Hände, „den Wochenbeitrag von 9,95 Euro habe ich von allen bekommen? Dann darf ich Ihnen noch den Spruch der Woche mit auf den Weg geben: Wer immer nur tut, was er kann, bleibt das, was er ist. Bis zum nächsten Montag!“
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Ich trete in den lauen Abend hinaus. Es ist 20 Uhr, es hat 20 Grad, ich wiege immer noch fünf Kilo zu viel und ahne: Ich werde Frau Müller nicht wiedersehen.