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Archiv-Artikel

mail aus manila Die Insel der blutigen Plantagen

Von den Geistern toter Arbeiter und den Barbesuchen deutscher Regisseure: Eine geheime Filmgeschichte der Philippinen

Jetzt ist T. aufgetaut. Er kann sich an alles erinnern, ich muss nur fragen, sagt er. Aber dann muss ich ihn noch nicht mal fragen, er redet und redet. In der Hand ein Glas Weißwein, den die neue Galerie zu ihrer Eröffnung heute großzügig ausschenkt, ist T. on a tip down memory lane. Die späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre, sagt er, waren in Manila, der Hauptstadt der Philippinen, für Filmfans die beste Zeit. Die ausländischen Kulturinstitutionen schafften eifrig die neuesten Filme aus ihren jeweiligen Ländern heran, und jeder Film, über den er gerade in Film Comment gelesen hatte, war auch in Manila zu sehen. Anders als heute, wo nur noch Hollywood-Blockbuster die Kinos in den Shopping-Malls blockieren.

Und dann war da das Film-Festival, das Imelda Marcos 1982 organisieren ließ, um das internationale Renommee ihres Regimes zu verbessern. Auf einem Stück Land, das gerade der Manila Bay abgerungen worden war, wurde im Eiltempo ein Film-Center aus dem Boden gestampft. Weil Imelda immer wieder die Baupläne änderte, verzögerte sich der Bau, und um das Gebäude rechtzeitig fertigzubekommen, mussten die Bauarbeiter Tag und Nacht arbeiten. Im allgemeinen Chaos stürzte ein Gerüst ein, und eine Gruppe Arbeiter versanken im langsam hart werdenden Beton.

Einige von ihnen konnten gerettet werden, aber 169 sollen bei lebendigen Leib im Beton gekocht worden sein. Um die Fertigstellung des Baus nicht zu gefährden, wurden ihre Leichen nie geborgen. Kurz danach feierte Imelda mit Stargästen aus den USA und Europa die Einweihung des gerade noch rechtzeitig fertiggestellten Gebäudes und die Eröffnung des Manila-Filmfestivals. Aber noch heute kann man in dunklen Nächten die Geister der toten Arbeiter in den Arkaden des Gebäudes heulen hören, sagen viele Filipinos. Andere tun die Geschichte als eine der urbanen Legenden ab, an denen Manila so reich ist. Das Festival wurde auf jeden Fall zusammen mit dem Regime abgeschafft, und in dem Film-Center finden heute Transvestiten-Revuen statt.

T. unterbricht, um einen Schluck Wein zu nehmen, und es gelingt mir, eine Frage dazwischenzuschieben: In dem Roman „Dogeaters“ von Jessica Hagedorn kommt ein deutscher Regisseur namens Rainer vor, der zu einem Filmfestival in Manila kommt und durch das schwule Nachtleben von Manila zieht. Soll das Fassbinder sein? Nein, diese Figur ist an Werner Schröter orientiert, der damals als Ehrengast beim Filmfestival war, glaubt T. Er ist jetzt wieder bei dem Thema, auf das er vorhin eigentlich hinauswollte. Schröter hat damals auch den kritischen Dokumentarfilm „Der lachende Stern“ über die Familie Marcos gemacht. Danach war er bei Familie Marcos Persona non grata.

Jaja, das ist ein Kapitel deutscher Filmgeschichte, von dem in Deutschland bestimmt niemand etwas weiß, grinst T. Damals waren sie alle da. Schröter, Klaus Kinski, Harun Farocki, Werner Herzog und Thomas Mauch, der Kameramann von Herzog. Bei dem hätten alle Seminare gemacht, die später etwas im philippinischen Kino geworden sind. „Die Deutschen waren streng, aber bei denen haben wir was gelernt“, pflichtet ihm der Regisseur G. bei, der sich zu uns gesellt hat. Wie süchtig hätten sie damals den Neuen Deutschen Film verfolgt, das sei ein wichtiger Einfluss auf das ganze philippinische Kunstkino gewesen.

Und dann ist da noch Kidlat Tahimik, der seinen „Parfümierten Alptraum“, den ersten philippinischen Independent-Film, zum Teil in München und zum Teil auf den Philippinen gedreht hat, erinnert uns G. Und Fritz Lang hat nach dem Zweiten Weltkrieg den Film „I Shall Return“ gedreht, wirft T. ein, der sich in Sachen Filmkenntnisse nicht gerne übertrumpfen lässt.

Fassbinder soll auch in den Bars von Manila gesichtet worden sein, aber das kann auch eine der urbanen Legenden sein. Seine Crew war auf jeden Fall hier: Peter Kern, Kurt Raab, Barbara Valentin und Udo Kier hätten den Film „Insel der blutigen Plantagen“ über ein tropisches Frauengefängnis auf den Philippinen gedreht. Der gehört nun nicht gerade zu den Höhepunkten der deutschen Filmgeschichte. Aber das sage ich lieber nicht, sondern hole uns noch eine Runde Wein.

TILMAN BAUMGÄRTEL