lothar lambert : Kann Pinkeln Utopie sein?
Nachdem ich Anfang der 80er die ersten Lothar-Lambert-Filme gesehen hatte, war ich entschlossen, nach Berlin zu gehen, wo ich später häufig über Filme des Moabiter Regisseurs schrieb. Nun kam wieder ein kleines Päckchen mit zwei Lambert-Filmen aus den 90ern. „Ich will dir nicht mit meinen Oldies auf die Nerven gehen …“, hatte der Regisseur geschrieben, und wieder war das Gucken schön und berührend. Unter dem Motto „Lamberts starke Frauen“ zeigt die Brotfabrik nun den Klassiker „Was Sie nie über Frauen wissen wollten“ (1991) und die Dokumentation „So wahr ich liebe – Intime Bekenntnisse zweier Undergroundheroinnen“ (1996).
LoLas Filme laden nicht dazu ein, in Nostalgien zu baden. Die Lebens-Sehnsüchte und -enttäuschungen, von denen seine Heldinnen sprechen, reichen in die Jetztzeit hinein; vielleicht auch weil die Grenzen zwischen Inszenierung und Wirklichkeit bei Lambert recht fließend sind. „Was Sie nie über Sex wissen wollten“ erzählt im Schwarz-Weiß klassischer Undergroundfilme von einer therapeutischen Frauen-WG. Die Frauen haben unterschiedliche Probleme: eine kommt verwirrt aus dem Osten, eine ist lesbisch und enttäuscht, dass die anderen nicht wollen, eine andere (Nilgün Taifun) ist nymphomanisch, weil sie noch nie einen Orgasmus hatte, eine weitere (Renate Soleymany) macht die Domina, und Lothar Lambert spielt den Doktor, der alles überwacht.
Das ist der Rahmen, innerhalb dessen improvisiert wird: über Seelenautomaten und echte Menschen, Liebe, Schwänze, Telefonsex, Inzest, Rassismus, Ost und West. Der Humor ist einfach: Nilgün Taifun freut sich an ihrer „Konversionsneurose“, auch weil sich das gut anhört: „wie Konservendose“.
Die Unterschiede zu der Dokumentation „So wahr ich liebe“, in der Lamberts langjährige Schauspielerinnen Nilgün Taifun und Renate Soleymany ebenfalls spielen, sind graduell: die Zumutung des Fiktionalen mildern beide in den Spielfilmen durch Authentizität; während sie im Dokumentarischen oft auch spielen, weil sich, was wirklich schlimm war, vielleicht nur so mitteilen lässt. Die Differenz ist zugleich komisch, wenn Nilgün Taifun von sich sagt, sie sei „existent-“ bzw. „kapitalistenregimegeschädigt“ oder das Pinkeln als Utopie feiert, denn „das kann sich jeder erlauben – ob arm oder reich“. DETLEF KUHLBRODT
„So wahr ich liebe“, noch bis 27. 4., 20.30 Uhr; „Was Sie nie über Frauen wissen wollten“, 28. 4.–30. 4., 20.15 Uhr, jeweils in der Brotfabrik