letzte ausfahrt brooklyn : Leben in New York zwischen Bilderflut und Alltag
Alle machen weiter
Wie ist denn die Stimmung drüben? Immer wieder wird man fast automatisch danach gefragt, wenn sich im Laufe eines Gesprächs herausstellt, dass man die letzten 15 Monate in New York verbracht hat. Was sagen die Leute? Es ist eine Frage, die einem so häufig gestellt wird, dass man sich recht bald eine Standardantwort zurechtlegt. Ja, die Mieten sinken; nein, ich habe niemanden getroffen, der tatsächlich für den Krieg gewesen wäre, weiß nicht so genau, das gilt für New York, jenseits der Stadtgrenzen sieht es wahrscheinlich ganz anders aus.
Natürlich stimmen solche Antworten, irgendwie. Vor allem, wenn man eine Weile zurück ist und für ein paar Tage zwar noch die Erinnerung an die Monate auf der anderen Seite des Atlantiks hat, aber schon mit hiesigen Augen auf die Zeit in New York schauen kann. Streng genommen ist es jedoch eine Frage, die man nicht beantworten kann. Nicht, weil Antworten auf solch pauschale Fragen ohnehin nicht zutreffend wären. Eher deshalb, weil das New York, nach dem sich da erkundigt wird, nicht das New York ist, aus dem man gerade zurückgekommen ist.
Das hat nur bedingt mit den Folgen der Anschläge vom 11. September zu tun, wie sich dieser komplizierte Sachverhalt aus der Ferne ja so schaurig-schön in eine griffige Formel gießen lässt. Es liegt vor allem daran, dass New York eine durch und durch medialisierte Stadt ist und diese Bilder so sehr Kollektiveigentum der weltweit an die entsprechenden Übertragungskanäle angeschlossenen Menschen sind, dass es nahezu ausgeschlossen ist, dieses Zeichenkonglomerat durch Erste-Hand-Informationen zu ergänzen. Es ist ja alles schon da.
Nicht nur die Fototapetenbilder von den hohen Häusern und den tiefen Schluchten dazwischen. Auch über das Rauchverbot im öffentlichen Raum, die Bebauungspläne auf Ground Zero, die amerikanische Friedensbewegung, die Probleme der Stromversorgung und die einigermaßen gleichgeschaltete Medienlandschaft ist man in Deutschland ja gut informiert. Möchte man da ein Stimmungsbild zeichnen, muss man sich schon große Mühe geben, will man nicht noch einmal bloß in eigene Worten fassen, was woanders längst besser und stimmiger ausgeführt worden ist.
Dabei ist Stimmung ja eigentlich vor allem eins: Alltag. Und der geht in der Regel einfach seinen Gang, ohne sich um die großen Erzählungen zu kümmern, die über den Ort im Umlauf sind, an dem man schlicht einkaufen geht, sich mit Freunden trifft oder an den Strand fährt (wobei man dort tatsächlich Dinge finden kann, die noch nicht medialisiert sind, das gigantische Bunkersystem etwa, das die Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs rund um New York in die Dünen bauten – so viel Angst haben eure Großeltern unseren Großeltern gemacht, sagte mir eine Freundin, als wir an einer der Betonhöhlen vorbeikamen).
Tatsächlich organisiert sich der New Yorker Alltag denn auch innerhalb von anderen Koordinaten als etwa der in Berlin. Die Mieten sind um ein Vielfaches höher. Es muss also mehr gearbeitet werden. Die Wohnungen sind aber auch kleiner. Man trifft sich also lieber aushäusig. Doch auch das ist nicht einfach, denn lange ausgehen können sich nur die wenigsten leisten, man muss am nächsten Tag ja wieder arbeiten. Andererseits lebt man dafür ja auch nicht in New York. Also geht man viel in Restaurants essen, die durch so interessanten Schnickschnack wie einen riesigen Springbrunnen mitsamt gigantischem Wasserbassin in der Mitte des Raums ein Gefühl von metropolitanem Luxus vermitteln.
Diese unterschiedliche Einteilung von Zeit und Raum zeigt sich sogar an profanen Dingen wie der Geschwindigkeit von Rolltreppen, die – gerade weil man es nach ein paar Tagen schon nicht mehr bemerkt – ob ihrer Schnelligkeit für die Stimmung in der Stadt bestimmt wichtiger sind als die viel beschriebenen State Trooper, denen man sich gegenüber sieht, die am Ende einer Rolltreppe stehen und mit dem Gewehr in der Hand aufpassen, dass kein Terroranschlag passiert, während sie gelangweilt den New Yorker Mädchen hinterherschauen. So ist die Stimmung in New York. Alle machen weiter. Nur man selbst nicht, man selbst macht nun in Berlin weiter.
Wo soll’s denn hingehen, hatte der Taxifahrer gefragt, der mich vor anderthalb Jahren zum Flughafen gebracht hatte. So so, New York, hatte er nach meiner Antwort gemurmelt, Weltstadt, wa? Um nach einer Weile hinzuzusetzen: Die kochen da ooch nur mit Wasser. Und so ist es am Ende ja auch. Bloß, dass die Wassertemperatur in Fahrenheit gemessen wird. TOBIAS RAPP