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Archiv-Artikel

leserinnenbriefe

■ betr.: „Gier ist nicht das Problem“, tazzwei vom 8. 6. 09

Ethisch fragwürdige Theorie

Vergisst Herr Homann, dass unser Wohlstand in Vergangenheit und Gegenwart auf der Ausbeutung der Dritten Welt (durch Kolonialismus und Neokolonialismus und unfaire Handelsbeziehungen mit den Ländern des globalen Südens) und der Natur beruht? Die kolonialisierten Völker haben unter dieser Ausbeutung in ihrer großen Mehrzahl gelitten und nicht profitiert.

Arbeitnehmern hierzulande geht es real mitnichten besser. In den letzten zehn Jahren sind deren Nettoeinkommen real meist gesunken, besonders stark in den unteren Einkommensschichten. Das Armutsrisiko ist wie bis vor 20 Jahren kein Randphänomen mehr, sondern inzwischen inmitten unserer Gesellschaft angekommen, während der Reichtum oben enorm zunimmt. Sieht Herr Homann nicht, dass die Gleichung höheres Wirtschaftswachstum und Einkommen nicht mit Wohlergehen identisch ist, dass unser Wirtschaftssystem primär auf ökonomisches Wachstum und Gewinn orientiert ist und weniger an sozialen Zielen und Nachhaltigkeit. Unsere Produktionsweise führt zu Konkurrenz um Ressourcen mit der Folge von Ressourcenkriegen und zu zunehmender Spaltung der Gesellschaften. Ganz abgesehen von den zyklischen Krisen mit ihren fatalen Folgen. Die Zahl der Menschen unterhalb der „ethischen Armutsgrenze“ ist zwischen 1981 und 2004 absolut um 22 bis 33 % gestiegen, relativ hingegen minimal gesunken. Unterstellt ein Wirtschaftswachstum wie bisher, bräuchten wir, um dieses Ziel zu erreichen, nicht nur einen Planeten, sondern drei. So viel zur Theorie des „Trickle-down-Effektes“, nach der der Wohlstand der Reichen automatisch nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickere. Diese Theorie, auch ethisch fragwürdig, dient dazu, die ungleiche Verteilung von Gütern und Chancen unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu rechtfertigen. Von der Empirie wird diese Theorie, von Ausnahmen wie China abgesehen, inzwischen nicht mehr gestützt. DIETER LEHMKUHL, Berlin

■ betr.: „Der homosexuelle Mann“, taz vom 9. 6. 09

Es werden Chancen vertan

Mit Freude, fast schon mit hämischer Genugtuung habe ich den Beitrag von Elmar Kraushaar gelesen. Ich gebe ihm durchaus Recht, dass der proklamierte herbeigeredete schwule Inhalt bei Timm-TV mühsam oft bis zur Unerträglichkeit herbeigeredet wird. In der Tat, wen interessiert, was Frau Taylor oder Streisand zu sagen haben. Vielleicht die Genaration der Lesben und Schwulen, die nicht wissen, was es hieß, auf dem ersten CSD in Berlin mitzulaufen, aktiv, nicht am Straßenrand stehend, wie manche heute in den Medien fast vergötterten Haarkonstrukteure. Wäre es da nicht angezeigt, besser die neusten Beauty-Tipps zu veröffentlichen gemäß dem Motto: „Das Wetter und die Frisur dazu“? Könnte das Niveau des geneigten Zuschauers durchaus treffen und wäre eine echte Orientierungshilfe für den kommenden Tag.

Wo bleiben die Themen, welche im Hintergrund rumoren, z. B. die zunehmende Orientierung nach rechts, das damit einhergehende Bild von Lesben und Schwulen in der Altersgruppe von 14- bis 20-Jährigen. Der wieder salonfähig gewordene Schwulenwitz in der Generation 30-jährig plus. Herr Kraushaar hat Recht, es werden Chancen vertan. Aber ich kann mir eine solche Redaktionssitzung auch gut vorstellen, wie um Nachrichten gerungen wird: Zuerst die Taylor oder die Streisand? JEFF FYNN, Stuttgart

■ betr.: „Mit angezogener Bremse in die Zukunft“, taz vom 8. 6. 09

Kein zukunftsfähiges Projekt

Die taz beschreibt ein Szenario für die automobile Zukunft nur mit wenigen kritischen Untertönen. Ohne einen echten Durchbruch bei der Akku-Technologie oder ein völlig verändertes Verhalten bei der Autonutzung – eben der geringen Reichweite angepasst – gibt es aber keine Lösung. Die Kampagne für die elektrische Mobilität ist ein Grund mehr, die bestehenden, „sichersten Kernkraftwerke der Welt“ bis Ultimo am Netz zu halten. Wir können raten, wer dahintersteht. Es wird konsequent verschwiegen, dass bei erforderlicher – elektrischer – Beheizung bzw. Klimatisierung des Innenraums eines Autos die Reichweite drastisch sinkt – in den zweistelligen Kilometerbereich. Da wünschte man sich dann die Verlustwärme des Verbrennungsmotors zurück. Es ist übrigens wenig sinnvoll, CO2-Vergleiche auf der Basis der angegebenen Normverbrauchswerte anzustellen, im realen Betrieb produziert ein Pkw mit Verbrennungsmotor nicht 150 g CO2, sondern ein Mehrfaches davon, weil üblicherweise auch die Leistung zur Anwendung kommt, die der Normverbrauchstest nicht benötigt. Theoretisch sieht ein E-Mobil also in einem solchen Vergleich nicht schlecht aus. Es gibt aber keinen grundsätzlichen Energieeinspareffekt bei Elektroautos. Die Energie ist eine andere oder sie wird anders besteuert und ist deshalb billiger. Wenn Elektroautos tatsächlich verbrauchsgünstiger daherkommen, dann liegt das daran, dass sie eine relativ geringe Leistung installiert haben und dementsprechend Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigungsvermögen begrenzt sind. Wenn der Tesla als „Pionier der Elektromobilität“ angeführt wird, ist da eine milde Korrektur angebracht: Das ist kein zukunftsfähiges Projekt, sondern ein überzogener Versuch technischer Machbarkeit, fernab von Realität, Serienfertigung und Bezahlbarkeit. George Clooney und Arnold Schwarzenegger ändern daran nichts. ERWIN BOSAK, Schorndorf