lehrter bahnhof : Bahnhof im Niemandsland
Autofahrer müssen auf der Autobahn im Nordwesten der Stadt innerhalb weniger Sekunden eine wichtige Entscheidung treffen: Wollen sie nach Berlin-Zentrum (Zoologischer Garten) oder nach Berlin-Zentrum (Alexanderplatz)? Bahnfahrer haben es bislang einfacher, die richtige Mitte zu finden. Wer in die West City will, steigt am Zoo aus; wer nach Ostberlin oder Kreuzberg will, fährt bis Ostbahnhof durch. Künftig soll es, absurderweise, diese Entscheidungsmöglichkeit nicht mehr geben.
KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER
Denn die Bahn liebäugelt mit dem Gedanken, den Bahnhof Zoo nach der Eröffnung des Lehrter Bahnhofs vom ICE-Netz zu nehmen. Ihre nicht ganz unberechtigte Befürchtung: Halten die Züge am Zoo, steigt kaum noch jemand am Lehrter Bahnhof aus. Der künftige Hauptbahnhof bliebe, was er heute ist: ein riesiges, teures Raumschiff in der Wüste. Er wäre damit quasi überflüssig – selbst wenn er durch die neue Nord-Süd-Verbindung ab 2006 mit Kundschaft rechnen dürfte.
Dabei ist es völlig unsinnig, den Bahnhof Zoo zu einem Geisterbahnhof zu machen: Ganz Westberlin müsste ins U-Bahn-lose Niemandsland zwischen Reichstag und Charité zuckeln, bevor es auf die Reise geht. Und die Geschäftsleute vom Ku’damm stehen, statt zu Fuß zum Bahnhof zu kommen, in ihren Taxis auf der Straße des 17. Juni im Stau.
Der Streit um den Bahnhof Zoo zeigt: Wie die Bahn es auch macht, sie macht es verkehrt. Schuld ist dabei gar nicht die Bahn, sondern die Berlin-Planung der frühen 90er-Jahre, die eine boomende Metropole prophezeite und entsprechend gigantische Verkehrsprojekte initiierte.
Man sollte sich damit abfinden: Der „Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof“ bleibt auf absehbare Zeit vor allem für Bundestagsabgeordnete und Touristen ohne Gepäck interessant. Seine Attraktivität lässt sich allenfalls durch eine bessere Verkehrsanbindung erhöhen – nicht durch Zwangsumleitung und Verärgerung der Kundschaft.