kurzkritik: Andreas Schnell über den Bremerhavener „Faust“ : Volltreffer Gretchen
Der „Faust“ von Thomas Oliver Niehaus, der am vergangenen Samstag in Bremerhaven Premiere hatte, zeigt den Doktor mit Pullunder, eleganter Brille und sorgfältig gebügelter Hose als aufgeklärten Studienrat von heute. Und das funktioniert, weil das Problem des Alten sich nicht erledigt hat: Die Suche nach dem Lebenssinn – ein Dauerbrenner.
Und auch das ist seit Goethe aktuell: Immer weder muss die Liebe dafür herhalten. Dass das bei Faust nicht nur für ihn selbst nicht funktioniert, wissen wir: Gretchen geht zugrunde an der Liebe zum rastlosen Faust, Läuterung und Versöhnung kommen erst im zweiten Teil, den uns Niehaus erspart. An einer Auflösung in Wohlgefallen hat er kein Interesse. Andreas Möckel zeigt uns den Faust launisch, selbstverliebt, elitär, hin und hergerissen und weltfremd. Eigentlich eine lächerliche Figur. Kein Wunder, dass Mephistopheles (Martin Bringmann) regelmäßig an ihm verzweifelt, ihn dank seines knurrigen Paul-Newman-Charmes aber immer wieder auf die Spur setzt. Die ihn natürlich zielsicher zu Gretchen führt. Und die ist ein Volltreffer: Neuzugang Meret Mundwiler zeigt die stille Einfalt der jungen Frau zum Niederknien, kunstvoll ungekünstelt, klar im Ausdruck – zweifellos die stärkste Leistung im Ensemble.
Ein interessanter, zeitgenössischer Faust also, mit sprödem Witz und sehenswerten schauspielerischen Leistungen.