kuckensema: auf bremens leinwänden : Autos, Männer, Utopien: deutsche Filme über Amerika
Ein Film wurde 1931 gedreht, der andere 1988, und doch gibt es in ihnen fast identische Einstellungen. Die Blicke aus einem fahrenden Hochbahnzug auf die vorbeirasenden Häuserfronten etwa, die Totalen von den Straßenschluchten der Metropolen, die Bilder von riesigen Maschinen, die die an ihnen arbeitenden Menschen zu beherrschen scheinen, die Nahaufnahmen vom letzten Werben der Waren auf Flohmärkten. Und immer wieder Autos: die Filmemacher waren sich ihrer fetischistischen Faszination so bewusst, dass beide das Objekt ihrer Begierde auch zerstören und als Wrack zeigen mussten.
Fast könnte man meinen, Dieter Marcello hätte sich für seinen Film „American Beauty Ltd“ durch Heinrich Hausers „Weltstadt in Flegeljahren - Bericht über Chicago“ inspirieren lassen, aber seltsamerweise erschien dieser Stummfilm aus den 30er Jahren erst später auf den Leinwänden als der essayistische Autorenfilm aus den späten 80ern. Denn in ihrer Entstehungszeit wollte keiner die Reiseeindrücke sehen, die der Journalist Hauser mit einer 16mm Kamera in Chicago aufgenommen und dann assoziativ zu einer Bildercollage montiert hatte. Eine Tonspur hätte den Film damals vielleicht noch retten können, aber so wanderte er als Relikt einer als überholt angesehenen Technik nach einer einzigen öffentlichen Vorführung ins Archiv, wo er 1995 wiederentdeckt wurde. Heute sind die Schwächen des Films aber zu Stärken geworden.
Die Frage, ob Hauser ein guter Filmemacher war, stellt sich da gar nicht. Gerade weil er alles abfilmte, was ihm gerade vor die Kamera kam, ist sein Film solch eine Fundgrube von lebendigen Eindrücken. Es gibt bei ihm einige wunderbare Einstellungen, etwa vom Dach eines Hochhauses auf eine Brücke und den Verkehr auf ihr hinunter, aber auch unscharfe Straßenszenen, in denen man zum Beispiel gerade mal ein spielendes Kind erkennen kann. Hauser war kein Tourist, aber ein offensichtlich von seinen Eindrücken überwältigter Reisender, und so nahm er viele Alltagsszenen auf, die für einen einheimischen Filmemacher viel zu banal gewesen wären.
„Wie eine Stadt emporschießt“, lautet einer seiner Zwischentitel, und man spürt die rastlose Aufbruchstimmung der „Flegeljahre“ von Chicago. Aber Hauser huldigt nicht nur dem technischen Fortschritt, er zeigt auch die Trostlosigkeit der Arbeiterwohnungen, die abgerissenen Kleinkriminellen auf der Straße und eine Schafherde, die in den Bauch des damals größten Schlachthofs der Welt getrieben wird.
Fünfzig Jahre später hat Dieter Marcello eine ganz ähnlicher Grundimpuls dazu getrieben, „American Beauty LTD.“ zu drehen, auch wenn dieser stilistisch viel ausgefeilter und ambitionierter ist als Hausers Reisebericht. Dabei ist er dramaturgisch ganz simpel und uramerikanisch nach dem Schema ‚Boy meets Girl‘ gebastelt. Allerdings trifft hier die schöne Frau den grüblerischen Mann gleich in vier verschiedenen Zeitebenen und Inkarnationen, und so kann anhand ihrer Liebesgeschichten auch die Sozialgeschichte von Amerika miterzählt werden. In der Gegenwart werden der Deutsche Jo und die Amerikanerin Joan ein Paar, doch sie erinnert sich immer wieder an ihre früheren Leben als Rosa, Roselyn und Rosy, die sie als frische Einwanderin in den Jahren um 1905, 1930 und 1940 zusammen mit Guiseppe, Joel und Joseph in Detroit durchlebt hat. Diese Geschichten werden mit den gleichen SchauspielerInnen – in schwarzweiß und absichtlich stilisiert – inszeniert und sind nicht viel mehr als die erzählerischen Fäden, an denen entlang Marcello zeigt, wie „limited“, also begrenzt der Traum vom schönen Amerika wirklich ist.
„Weltstadt in Flegeljahren“ und „American Beauty Ltd“ sind die beiden Erstaufführungen in einer Filmreihe des Kommunalkinos, die im Rahmen der 29. Literarischen Woche Bremen gezeigt wird. Auch die beiden weiteren Filme des Programms zeigen die Blicke von deutschen Filmemachern auf Amerika. Beide durchreisten den Kontinent und glaubten seiner Größe nur mit Überlängen ihrer Werke gerecht werden zu können. In seinem zweiteiligen, jeweils etwa 90 Minuten langen „Panamericana – Traumstraße der Welt“ zeigte der Science Fiction-Schriftsteller Hans Domnick dem deutschen Kinopublikum in den frühen 60er Jahren die große weite Welt in grandiosem Cinemascope. Dabei reihte er Postkartenansichten von den Touristenattraktionen zwischen Alaska und Feuerland aneinander, was heute eher unfreiwillig komisch wirkt.
Wilfried Hippen