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Archiv-Artikel

kuckensema: auf bremens leinwänden Der Deutsche Kurzfilmpreis 2004 unterwegs: Eine Liebe in elf Minuten

„Ich bin glücklich und lebe in perfekter Harmonie!“ sagt eine Amerikanerin in die Kamera und präsentiert dabei stolz ihre riesige Villa, ihren durchtrainierten Körper und ihr eiskaltes Siegerlächeln. „Leben, oh Leben, was bis du schwer, machst einen alten Mann aus mir, humpelnd am Stock!“ singt der Insasse einer rumänischen Psychiatrie im fleckigen und durchgetragenen Bademantel, für den eine Tasse mit dünnem Kaffee und eine Zigarette der einzige Luxus sind.

Es kann kaum einen größeren Kontrast als den zwischen diesen beiden Einstellungen geben, die in prämierten deutschen Kurzfilmen des letzten Jahres zu sehen sind. Und der Witz dabei ist, dass eine Entscheidung schwer fällt, welche der beiden gezeigten Welten größere Schrecken zeigt: das vollkommen künstliche und totalitär positive Paradies auf Erden in Corinna Schnitts kleiner Groteske „Living a beautiful Life“ oder die hoffnungslose Armut und Leere des Daseins der geistig Verwirrten in Alexandre Guleas Dokumentarfilm „Daumendreher“. Beide Filme haben eine poetische Radikalität, die in einem Langfilm nur schwer durchzuhalten gewesen wäre, beiden Filmen merkt man an, dass die Filmemacher unbedingt diese Geschichten erzählen wollten, und beide hätten unter normalen Umständen kaum eine Chance gehabt, von einem größeren Publikum gesehen zu werden.

Denn der Kurzfilm ist das vernachlässigte Stiefkind des Kinos. Abgesehen von Festivals und einigen Programmplätzen des öffentlich/rechtlichen Fernsehens zu meist nächtlicher Stunde gibt es kaum Gelegenheiten, Filme zu sehen, die nicht der genormten Länge eines „Featurefilms“ von mindestens 80 Minuten entsprechen. Im krassen Gegensatz dazu steht die Produktion von Hunderten, wenn nicht Tausenden dieser kleinen Werke, die oft erste, preiswert und mit Freunden gemachte Fingerübungen, manchmal Abschlussarbeiten von Filmhochschulen, manchmal aber auch hochambitionierte Eigenproduktionen von Besessenen sind, die sich in Schulden stürzen, um ihre Visionen auf Filme zu bannen.

Da mag dem Publikum auch viel Bilderschrott erspart worden sein – aber wenn dann doch mal Kurzfilme gezeigt werden, wie etwa im Vorprogramm des Kino 46 oder in den „Young Collections“, die das Bremer Filmbüro regelmäßig veranstaltet, kann man fast immer überraschende Entdeckungen machen. Jedes Jahr wird von der Bundesfilmförderung ein Wettbewerb um den Deutschen Kurzfilmpreis veranstaltet, und sowohl die dort mit Gold ausgezeichneten wie auch die nominierten Werke werden nun schon zum 6. mal auf eine Tournee durch die Kommunalen Kinos des Landes geschickt. In zwei jeweils knapp 90-minütigen Programmen des Jahres 2004 sind zusammen 11 Filme zu sehen, deren Längen zwischen 5 und 45 Minuten variieren. Im Programm 1 sind die fiktionalen Filme zu sehen, im Programm zwei sind Dokumentationen und formelle Experimente versammelt.

Es ist selten, dass ein renommierter Regisseur zu dieser kleinen Form zurückfindet. Doch genau dies hat Tom Tykwer mit „True“ gemacht, einem in Paris drehten und mit Nathalie Portman prominent besetzten 11-Minuten-Kunststückchen über die Liebesgeschichte zwischen einem blinden Studenten und einer Schauspielerin. Nur die reine Lust am Kinomachen kann solch eine Rückkehr zum kommerziell selbstmörderischen Format erklären, und tatsächlich quillt „True“ über von übermütigen Regieeinfällen und Reflexionen über Zeit, Wahrheit, das Schauspiel und das Sehen, die für mehrere Langspielfilme gereicht hätten. Wilfried Hippen

Kino 46: Programm 1: Fr um 20.30 & Sa um 22.30, Programm 2: Fr 22.30 & Sa 20.30