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Archiv-Artikel

kuckensema: auf bremens leinwände Orchestraler Stummfilm: „The Lodger“ von Alfred Hitchcock wird in der Glocke vom Landesjugendorchester begleitet

Immer wenn es spannend wird im Kino, haben auch die Filmkomponisten ihren großen Auftritt. Und kein Regisseur wusste besser als Alfred Hitchcock, wie man „suspence“ durch einen geschickten Einsatz der Musik verstärken kann. So sind etwa in der berühmten Duschszene aus „Psycho“ die zustechenden Staccati der Geigen genauso unvergesslich wie der blutige Wasserstrudel im Abfluss. In Bernhard Herrmann hatte der Regisseur in seinen besten Jahren einen kongenialen Mitarbeiter gefunden, der auch die grüblerische Schwere in „Vertigo“ und die moderne Nervosität in „Der unsichtbare Dritte“ ideal durch seine Musik betonen konnte. Schon bei seinem ersten Tonfilm „Blackmail“ bewies Hitchcock, wie geschickt er mit der neuen Technik umgehen konnte, indem er in einer an sich ganz harmlosen Frühstücksszene das Wort „Messer“ so verstärkte, verzehrte und wiederholte, dass alleine durch diesen Soundeffekt die Angst des bedrohten Mädchens deutlich wurde.

Drei Jahre vor „Blackmail“ hatte er „The Lodger“ („Der Mieter“) gedreht, den er selber in seinem berühmten Interview mit Francois Truffaut als seinen ersten „echten“ Film bezeichnete: „Es war das erste Mal, dass ich meinen eigenen Stil anwandte.“ Hier tritt er zum Beispiel zum ersten Mal in seinem Film selber auf, und dies gleich in zwei kurzen Einstellungen. Und in „Lodger“ entwickelte er auch das Grundmotiv, dass er in fast allen seiner Filme verwendetet: Die Geschichte vom Unschuldigen, der verfolgt wird. Der Titelheld ist hier ein namenlos bleibender Mann, der bei einer Familie zur Untermiete einzieht. Der zweite Titel des Films „A Story of The London Fog“ lässt schon erahnen, in welcher Atmosphäre er spielt, und tatsächlich treibt in den nächtlichen Straßen der Stadt ein perverser Frauenmörder im Stil von „Jack the Ripper“ sein Unwesen. Der Mieter macht sich bald verdächtig, indem er sich intensiv um Daisy, die Tochter des Hauses bemüht, die als schöne junge Frau mit blonden Haaren den Opfern des Triebtäters sehr ähnlich sieht. Bald sind alle überzeugt, dass er der Täter ist, er muss vor einem aufgebrachten Mob fliehen und bleibt in einer typischen Hitchcockszene mit Handschellen an einem hohen Eisengitter hängen. „The Lodger“ war bei Publikum und Kritik der erste wirklich große Erfolg des Regisseurs, die Zeitschrift „Bioscope“ pries ihn als „den besten britischen Film, der je entstand“. Hitchcocks Biograph Donald Spoto analysierte, dass er hier „die Ängste und Sorgen der Zeit besser ansprach als andere vor ihm“.

Aber wie der Stummfilm dann in den einzelnen Kinos klang, war Glücksache. In jedem einzelnen Kino bastelten sich die live spielenden Musiker ihren eigenen Soundtrack zurecht, und erst im Jahr 1999 wurde zu Hitchcocks 100. Geburtstag zum ersten Mal eine durchkomponierte Filmmusik zu „The Lodger“ aufgeführt. Diese wurde anlässlich der Restauration der Filmkopie von ZDF/Arte bei dem in Australien geborenen Ashley Irwin in Auftrag gegeben. Dieser arbeitete in Hollywood an über dreißig Kinofilmen und Fernsehserien mit und war viele Jahre lang für die musikalischen Arrangements der Oscar-Verleihungen verantwortlich. Für diese Arbeit wurde er mit zwei Emmys ausgezeichnet.

Für diesen Auftrag hatte er sich mit der Neuvertonung eines anderen Stummfilms empfohlen: Seine Musik zu dem Bergsteigerdrama „Die weiße Hölle von Piz Palü“ von Arnold Frank und G-W. Pabst wurde von der Kritik für ihre Kraft und Dynamik gelobt. Bei seiner Arbeit zu „The Lodger“ nahm er sich deutlich hörbar Bernhard Herrmann zum Vorbild, indem er die einzelnen Instrumente sehr atmosphärisch einsetzt, die Spannungsbögen mit Leitmotiven betont und auch gerne mit großen orchestralen Effekten arbeitet.

Einmal im Jahr erarbeitet das Landesjugendorchester Bremen unter der Leitung von Stefan Geiger in Zusammenarbeit mit dem Kommunalkino eine live gespielte Stummfilmbegleitung, die im großen Saal der Glocke aufgeführt. In den letzten Jahren garantierten die populären Klassiker Metropolis von Fritz Lang und „Goldrausch“ von Charlie Chaplin ein volles Haus. Diesmal bieten Veranstalter dagegen mit diesem selten gezeigtes Frühwerk ein cineastisches Fundstück. Wilfried Hippen

„The Lodger“ wird Samstag um 20 Uhr und Sonntag um 15.30 Uhr im Großen Saal der Glocke aufgeführt