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Archiv-Artikel

kucken sie mal: auf bremens leinwänden Bollywood rebellisch: „Lagaan“ von Ashutosh Gowarike

Auf dem Kricketfeld rächen sich heute die einst Kolonisierten an ihren Unterdrückern. In allen Gebieten des Commonwealth wird leidenschaftlich Kricket gespielt, und bei den Testmatches gegen Großbritannien wird jedes Mal wieder der Kampf für die Unabhängigkeit aufgeführt. Gegen Indien oder Pakistan hat die englische Mannschaft schon längst nur noch dann eine Chance, wenn in ihr Briten indischer oder pakistanischer Abstammung mitspielen. Wenn man exemplarisch den Aufstieg und Fall des britischen Weltreichs darstellen will, eignet sich dafür neben dem Tee nichts so gut wie Kricket, und die Geschichte wird noch interessanter, wenn sie nach all den britischen Romanen und Filmen vom „Raj“ endlich einmal von der anderen Seite erzählt wird. Darum ist „Lagaan“ auch für ein westliches Publikum so interessant, darum ist er der weltweit erfolgreichste Film aus Indien und wurde für den Oscar nominiert.

„Lagaan“ ist das Hindiwort für die Erntesteuer, die die Bauern ihren Radjas zahlen müssen, die sie wiederum an die britische Schutzmacht weitergeben. Im Jahr 1893 herrscht im Dorf Champagner in Zentralindien eine grausame Dürre, doch der tyrannische Lokalgouverneur Russell fordert in diesem Jahr doppelte Steuern. Als eine Abordnung des Dorfes sich während eines Kricketmatches über dieses „Kinderspiel“ der Briten lustig macht, schlägt Russell den Bauern eine perfide Wette vor: Wenn sie die Engländer in einem Spiel schlagen, erlässt er ihnen „Lagaan“ für drei Jahre. Wie Indien vereinigt gegen das Empire Widerstand leistete, raufen sich im Film die verschiedenen Kasten, Ethnien und Religionsanhängern des Dorfes zu einer schlagkräftigen Mannschaft zusammen. Doch ohne einen strahlenden Helden kann es im Bollywoodkino nicht gehen, und so reckt der indische Superstar Aamir Khan immer wieder rebellisch sein Kinn in die Höhe, wenn die arroganten und hinterlistigen Briten die Bauern wieder gedemütigt und ausgetrickst haben. Er ist auch für die Liebesgeschichte zuständig, ohne die ein kommerzieller indischer Film schon darum unmöglich ist, weil sie Anlass für mindestens drei der in Indien so heiß geliebten Gesangs- und Tanznummern bieten.

Ja, auch in „Lagaan“ endet jeder Akt mit einer großen musikalischen Shownummer und das Kricketmatch am Ende des Films alleine dauert schon eine Stunde. Dadurch ist auch dieser Film wieder mit 220 Minuten für europäisches Sitzfleisch ungewohnt lang. Aber er ist auch extrem spannend und suhlt sich geradezu in grandiosen Landschaftsaufnahmen, die amerikanische und britische Kritiker mit denen von David Lean verglichen haben.

Das indische Kino hat keine Angst vor Kitsch und Klischees, und da es nicht die uns geläufigen melodramatischen Effekte und Stereotypen sind, kann man sie genießen, ohne dabei das Gefühl zu haben, unter Niveau unterhalten worden zu sein.

Als Uneingeweihter hat man die Regeln des Kricket auch am Ende des Films noch nicht begriffen. Aber das große Match ist dramaturgisch so geschickt in der altbewährten Tradition aller guten Sportfilme inszeniert, dass man bis zum letzten Abschlag fiebert. Wilfried Hippen

Bis Dienstag um 20 Uhr im Kino 46 in der Originalfassung mit Untertiteln