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Archiv-Artikel

kritik der woche Putziger Aktionismus: „Der Chinese im Kinderbett“ am Schauspiel Hannover

Bereits die Komik des Titels verweist auf den Aufführungsgestus: „Der Chinese im Kinderbett“. Ein putzigeres Sprachbild ist schwer zu finden für den westlichen Angstblick in die globale Zukunft. Konsequent, dass man auf der Bühne nur chinesisches Tsing Tao Bier ausschenkt. Freundlich- frech aber, dass nicht gegen die aufstrebende Weltmacht im fernen Osten, sondern gegen eine immer rüder operierende Marktwirtschaft bei uns daheim polemisiert wird.

Polittheater für ein Comedy-Publikum – das garantiert der Autor und Regisseur Schorsch Kamerun, sonst unter anderem linksextremliberaler Punkrocker bei den Goldenen Zitronen, mit seinem Stück für das Schauspiel Hannover. Kameruns Aufklärungskonzept: mit Klischees gegen Klischees. Damit jeder merkt, was nicht stimmt. Zu Jubelschreien für „Continental“ – ein Unternehmen, das trotz Rekordgewinn 2005 die Schließung der Pkw-Reifenfertigung am Stammsitz Hannover-Stöcken betreibt – inszeniert Kamerun eine Schüttel- und Hüpfeshow weiblicher Körperrundungen: „Polex 06, Messe für Politik und Sex“. Expostadt Hannover? In einer Filmeinblendung zeigt Kamerun auf der Expo-Brachfläche das zeitgemäße Marketingkonzept für die moderne Mutter Courage: ein kuschelig ausstaffierter und beräderter Sarg wird zum mobilen Puff. „Happy hour. All you can fuck, 59,90 Euro“.

Bühnenkunst als unverfrorene, aber mit Spaßhaftigkeiten angedickte Sozialkritik, amüsant plump in den Thesen, amüsant verstiegen in der Wahl nicht harmonisierender Versatzstücke diverser Theatertraditionen. Ein agitatives Kunterbunt. Bei dem weniger Dialoge denn Worthülsen, bekannt aus Funk und Fernsehen, posenhaft ironisch ausgestellt werden.

Zwischen allen herum irrt Hannah als Motiv des Expressionismus: das Mädchen vom Land im Großstadtdschungel. Darstellerin Mila Dargies scheint ihre Rollengestaltung einem Stück Ödön von Horváths entlehnt zu haben: rührend im redlichen Bemühen, den Kampf auf dem Arbeitsmarkt würdevoll zu bestehen. Sie erlebt den Moloch Hannover als „Show von Bemittelten,“ bei der nur gewinnen kann, wer „Ansexen“ gelernt hat. Also übt Hannah: „Ich bin das Produkt, ich bin ‚the future‘. Blick raus, Brust raus, ‚fuck me‘!“

Daran scheitert Hannah. Ein Stationsdrama hat Kamerun also auch im Sinn, um die Protagonistin am Ende neuklug altmarxistisch erkennen zu lassen, dass sie nicht nur als funktionierendes Wesen leben will. Und dann steht sie da mit dem gesamten Ensemble: alle lustigst zurechtgemacht für ihre Minijobs, alle traurigst verzweifelt. Unerlöst singträumen sie: „Der Mensch kann plötzlich fliegen.“

So funktioniert diese Revue zwischen Kitsch und Agitprop: mit Gesang, Tanz, Musikvideo, Melodramatik und Improvisation. Impulsiv, bruchstückhaft. Gekonnt undramatisch. Eine liebevoll dahingeworfene Ideenskizze ist Kamerun gelungen: Mut machen durch Belustigung. Jens Fischer

nächste Termine: 4.2. und 5.2., jeweils 20 Uhr im Schauspiel Hannover