kommentar : Ein Geständnis durchbricht die kollektive Verdrängung serbischer Schuld
Das Urteil gegen die serbische Nationalistin Biljana Plavšić spiegelt den Ablauf des Prozesses vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wider. Die ehemals enge Vertraute von Radovan Karadžić hatte nach langem Zögern endlich ihre Mitschuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeräumt. Doch sie weigerte sich, als Kronzeugin der Anklage gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević aufzutreten. Und das, obwohl Chefanklägerin Carla del Ponte die Anklage wegen Beteiligung am Genozid an bosnischen Muslimen gegen sie fallen ließ.
Für die 72-jährige Plavšić bedeuten die elf Jahre Haft auf den ersten Blick lebenslänglich. Die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer der Verbrechen – etwa die überlebenden Frauen aus Srebrenica – können mit der Prozessstrategie Carla del Pontes trotzdem nicht zufrieden sein. Sie protestieren zu Recht dagegen, dass die Angeklagten nach dem Urteil das Land wählen können, in dem sie die Strafe abzusitzen haben. In Schweden etwa könnte Plavšić mit Haftverschonung rechnen – nach der dort herrschenden Praxis müssen über 70-jährige Verurteilte nicht ins Gefängnis.
Zudem ist zu fragen, ob die von internationaler Seite gelobte „Kooperationsbereitschaft“ von Biljana Plavšić nach dem Krieg tatsächlich strafmildernd wirken darf. Sie hat während des Krieges unerbittlich Menschen verfolgen lassen und den Aufbau von Konzentrationslagern mitgetragen. Sie duldete nicht nur die ethnischen Säuberungen, sie propagierte sie. Sie wollte das jahrhundertealte tolerante Miteinander der Nationen und Religionen in Bosnien zerstören.
Immerhin hat sie dies eingestanden und damit gegen den serbischen Konsens verstoßen. Denn nach wie vor leugnet die überwiegende Mehrheit der serbischen Bevölkerung, dass Serben Verbrechen begangen haben. Bestenfalls wird eingeräumt, dass im „Bürgerkrieg“ alle Seiten Dreck am Stecken hätten. Die wirkliche Geschichte der von Belgrad geplanten und militärisch durchgesetzten Aggression wird nach wie vor verdrängt. Radikale Nationalisten scheuen sich nicht – acht Jahre nach Kriegsende –, Gewalt gegen jene anzudrohen, die diesen Konsens aufkündigen. Weil Plavšić diese Lüge zumindest teilweise nicht mitgetragen hat, hat ihr Schuldeingeständnis über den Tag hinaus Gewicht. Selbst dann, wenn sie im Fall Milošević gekniffen hat und nicht den Mut aufbrachte, zur Kronzeugin der Anklage zu werden.ERICH RATHFELDER