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Archiv-Artikel

kommentar Der neue Irak braucht keine Herrschaft der Stämme und Klientelen

Nach den Briten in Basra bemühen sich jetzt auch US-Soldaten in Bagdad, die Plünderungen von Krankenhäusern, Museen und anderen öffentlichen Gebäuden in den Griff zu bekommen. Das wird auch höchste Zeit. Wer lediglich Ölministerien und Ölfelder schützt, eroberte Städte aber dem Chaos überlässt, und dies wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als „Unaufgeräumtheiten“ beschönigt, gewinnt garantiert nicht die „Herzen und Köpfe“ der Iraker.

 Je länger das Machtvakuum im Irak anhält, umso größer – und fataler – können die politischen Konsequenzen für einen Neuanfang werden. In einer Situation, in der die alte Ordnung verschwunden und eine neue noch nicht da ist, sind die einzigen noch vorhandenen Autoritäten die traditionellen, konkret: die religiösen Führer und die Stammesfürsten. Wenn die Vereinigten Staaten eine islamische Revolution und den Einzug von paternatistischen Werten und Klientelismus ins neue politische System fördern wollen, dann haben sie in den vergangenen Tagen den richtigen Weg eingeschlagen.

 In dem mehrheitlich schiitischen Land waren es die Imame in Saddam City und Mossul, die versuchten, die Bevölkerung vom Plündern abzuhalten. Angesichts einer Besatzungsmacht, die ihre Aufgaben in gefährlicher Weise vernachlässigte, war dies ein vernünftiger Schritt. Doch die jüngsten Entwicklungen in Nadschaf im schiitischen Kernland weisen in eine andere Richtung. Die Ermordung von Ajatollah al-Choei und die versuchte Vertreibung von Ajatollah Sistani durch die radikale Jimaat-e-Sadr-Thani sind deutliche Anzeichen eines beginnenden, gewaltsam ausgetragenen Machtkampfes zwischen unterschiedlichen schiitischen Strömungen im Irak.

 Die jüngsten US-Drohungen gegenüber der benachbarten Islamischen Republik Iran haben vor allem eine Botschaft: Finger raus aus dem Irak. Schließlich erinnerten die ersten Freudenausbrüche in Saddam City nach dem Verschwinden des Regimes in Attributen und Form an Kundgebungen zu Ashura, dem höchsten schiitischen Feiertag.

 Die Stämme, die im Irak – gerade auch unter Saddam Hussein – eine wichtige Rolle spielen, sind in der Regel äußerst konservativ. Außerdem bieten sie traditionell Zuflucht – möglicherweise auch für untergetauchte Saddam-Anhänger. Zudem würde eine Stärkung der Stämme in einer neuen politischen Struktur zu einer Bevorteilung der ländlichen Gesellschaft gegenüber der städtischen führen. Was der Irak jedoch braucht, ist eine Regierung aus fähigen Intellektuellen und Technokraten. Je länger das Chaos andauert, desto größer ist die Gefahr für die Zukunft. BEATE SEEL