kommentar : Es reicht nicht, die USA für ihre Politik im Irak zu verdammen
Sosehr die Beteiligten bemüht sein mögen, den Streit über den Irakkrieg zu vergessen, so wenig gelingt das. Es geht auch gar nicht. Denn die Umstände, unter denen der Irakkrieg begonnen und geführt wurde, bestimmen auch die aktuellen Auseinandersetzungen: so etwa die Debatte über die Rolle der Vereinten Nationen, die Übergabe der staatlichen Souveränität an die Iraker und den richtigen Zeitpunkt für Wahlen.
Die US-Regierung versucht dringend, der UNO eine Rolle im Irak zuzuweisen. Zudem will sie wenigstens offiziell die Macht an eine neue irakische Regierung übertragen, die nicht als Besatzermarionette gilt. Außer einem Zeitplan allerdings fehlen dafür noch fast alle Voraussetzungen. Und das angestrebte Datum 1. Juli ist, wie die New York Times gestern treffend analysierte, eher dem Rhythmus des US-Wahljahres geschuldet als der Entwicklung im Irak.
Weder organisatorisch noch politisch sind die Voraussetzungen gegeben, einigermaßen freie und gerechte Wahlen über die Bühne zu bringen – von Sicherheitsfragen ganz zu schweigen. Die US-Regierung steckt in einem Dilemma: Einerseits will sie so bald als möglich den Besatzerstatus loswerden, andererseits kann sie sich ein Wahldebakel auch nicht leisten. Wenigstens die letzte verbliebene Kriegsbegründung, die Chance auf Demokratisierung des Irak, soll einen Rest an Glaubwürdigkeit behalten. Und Vorschläge, eine neue Interimsregierung zu bilden, stoßen im Irak auf Widerspruch.
UN-Generalsekretär Kofi Annan ist da in einer komfortableren Lage: Zu Recht besteht er für die Rückkehr der UNO auf einer verbesserten Sicherheitslage und stellt sehr vorsichtige Zeitpläne auf. Je länger die UNO aber nicht im Land ist, desto höher schätzen alle Seiten ihre zukünftige Bedeutung ein. Annan fährt gut damit, die Vereinten Nationen nicht zu früh zurückkehren zu lassen.
Aber auch daraus, wie aus der Forderung Frankreichs und Deutschlands nach einer neuen Sicherheitsratsresolution, sind die alten Konfliktlinien herauszulesen. Die ehemaligen Kriegsgegner wollen nach wie vor nicht für eine Situation einstehen, die sie hatten verhindern wollen. Im Hinblick auf eine zukünftige internationale Sicherheitsarchitektur erscheint es sinnvoll, der UNO zu neuer Geltung zu verhelfen. Nur: Sich lediglich an den Fehlern der USA abzuarbeiten, reicht dafür nicht aus. Die Zeche zahlen wieder einmal die Iraker.
BERND PICKERT
ausland SEITE 9