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Archiv-Artikel

kommentar Al-Sadr verlässt Nadschaf. Als politischer Faktor bleibt er präsent

Am Ende kam die Lösung ohne weiteres Blutvergießen: Der radikale Schiitenführer Muktada al-Sadr gab den Schlüssel des Imam-Ali-Schreins ab, seine Mahdi-Milizionäre mischten sich wie vereinbart unter die Teilnehmer des morgendlichen Freitaggebets und zogen still ab.

Als Mann der Stunde hat sich wieder einmal der moderate Großajatollah Ali al-Sistani erwiesen, der klug abgewartet hatte, bis sich alle Seiten im Konflikt abgenutzt hatten und händeringend nach einem allseits respektierten Retter von außen suchten. Das friedliche Ende des Konflikts zeigt somit die Grenzen der irakischen Übergangsregierung auf – und die der US-Truppen: Weil die Regierung sich nicht auf ihre eigenen Sicherheitskräfte verlassen konnte, rief sie die Amerikaner zu Hilfe. Die standen schließlich mit all ihrer Feuerkraft an der Schwelle der Moschee – und wussten nicht weiter. Ihnen – genau wie dem in die Defensive geratenen al-Sadr – ermöglichte der Einsatz al-Sistanis, ihr Gesicht zu wahren.

Doch auch wenn der irakische Staatsminister nun von einem „großartigen Sieg für den ganzen Irak“ spricht: Ausgestanden ist der Fall al-Sadr noch lange nicht. Sicherlich hat dieser mit der Aufgabe des heiligen Schreins ein wichtiges Faustpfand abgegeben. Aber der irakischen Regierung und den USA steht ein wichtiger weiterer Test bevor: Al-Sadr ist ein Symptom dafür, dass ein Teil der politischen Kräfte aus dem System des neuen Irak ausgeschlossen ist. Er repräsentiert einen nicht unwesentlichen Teil der Bewohner der schiitischen Armenviertel rund um Bagdad. Religiöse Zugehörigkeiten mischen sich dort mit sozialen Fragen. Indem sie ihn unbehelligt aus Nadschaf abziehen ließ, hat die irakische Regierung indirekt zugesagt, al-Sadr eine politische Rolle zukommen zu lassen.

Mit dem Abzug aus Nadschaf werden die Karten neu gemischt. Al-Sadr hat zwar vorerst kapituliert, aber seine zum Teil bewaffnete Klientel ist deswegen nicht verschwunden. Eines ist sicher: Ob mit oder ohne al-Sadr, die politische Landschaft des Irak wird kaum ohne einen Gegenspieler zur Besatzung auskommen können. Das wird sich nur dann ändern, wenn echte Wahlen abgehalten werden, die den Irakern das Gefühl geben, ihre eigenen Geschicke zu lenken. Die Krise rund um Nadschaf hat die Regierung von diesen Kurs abgebracht. Nun haben die angeschlagenen Herrscher in Bagdad vielleicht den Spielraum, diesen Kurs wieder einzuschlagen.

KARIM EL-GAWHARY

ausland SEITE 10