kommentar : Die Union und ihre privilegierte Feindseligkeit gegen die Türkei
Diplomatisch war das nicht. Wenige Tage vor dem EU-Gipfel in Brüssel hat der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan der deutschen Opposition vorgeworfen, sie stelle sich aus innenpolitischen Motiven gegen den EU-Beitritt seines Landes. Wie sehr er damit ins Schwarze getroffen hat, zeigt die Reaktion der Union: Wieder einmal kündigte die CDU an, den geplanten EU-Beitritt der Türkei zum zentralen Thema im Bundestagswahlkampf 2006 zu machen. Und CSU-Chef Edmund Stoiber drohte, eine unionsgeführte Bundesregierung werde die Vollmitgliedschaft der Türkei „mit allen Mitteln“ verhindern.
Dabei darf durchaus bezweifelt werden, dass die Türkei schon heute alle Kriterien für einen EU-Beitritt erfüllt. Zu weit ist das Land bislang noch von den politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft entfernt – selbst wenn man Fortschritte auf dem Feld der Menschen- und Minderheitenrechte feststellen kann. Auf zehn bis fünfzehn Jahre wird von den meisten Experten zu Recht die Zeit veranschlagt, die von der Türkei benötigt wird, um die notwendigen Bedingungen zu erfüllen.
Doch zur Erinnerung: Nicht der EU-Beitritt der Türkei steht unmittelbar bevor; lediglich über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen wird die EU am Freitag bei ihrem Gipfel in Brüssel eine Entscheidung fällen. Die Union drängt darauf, dass diese Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden und am Ende auch eine „privilegierte Partnerschaft“ stehen könnte. Was sie darunter versteht, bleibt allerdings nebulös: Die Türkei ist bereits Mitglied in der Nato, im Europarat und der OECD und mit der EU wirtschaftlich eng durch eine Zollunion verbunden. Was mehr könnte eine „privilegierte Partnerschaft“ bieten?
Abgesehen von solchen Worthülsen, steht die Union mit ihrem Türkei-Kurs aber auch ziemlich allein da. In der EU ist sie mit ihrer Position eine Minderheit – und das dürfte so bleiben. Daran ändert auch Nicolas Sarkozy nichts, der neue Hoffnungsträger der französischen Konservativen, in dessen Türkei-Skepsis die CDU/CSU so große Erwartungen setzt. Aber auch innenpolitisch hat sich die Union isoliert: Die Wirtschaft distanziert sich von ihrem Kurs, und selbst die Bild-Zeitung mag nicht so recht mitziehen.
Sollte die EU am Freitag die Aufnahme von Beitrittsgesprächen beschließen, dann wird die Union sich ihre privilegierte Feindseligkeit gegen die Türkei nicht mehr leisten können.
DANIEL BAX