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Archiv-Artikel

kommentar Die Millionenzahl – Ideal zur Panikmache

Gestern war es noch nicht amtlich, dass die Zahl der Arbeitslosen im Januar die historische Fünfmillionenmarke überschritten hat. Trotzdem schlugen die Unternehmer schon mal Alarm. Von einer „grausamen Zahl“ sprach Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt – und forderte entsprechend grausame Einschnitte: weitere Leistungskürzungen für Arbeitslose, Kopfpauschale bei der Krankenkasse, höheres Rentenalter.

Dabei ist auf dem Arbeitsmarkt nun nichts passiert, was eine derartige Brachialrhetorik rechtfertigen würde. Nach Expertenschätzung liegt die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen, das ist die allerdings traurige Wahrheit, schon seit der Wiedervereinigung bei mehr als fünf Millionen. Clement hat lediglich getan, was die Kritiker von heute schon lange von ihm fordern: Er hat die Statistik wenigstens ein bisschen ehrlicher gemacht. Seit der Hartz-Reform werden endlich auch jene Arbeitslosen mitgerechnet, die bisher bei den Sozialämtern versteckt wurden.

Erstaunlicherweise hat die Regierung auf dem Arbeitsmarkt etwas getan, das den gängigen Grundsätzen des politischen Opportunismus diametral widerspricht. Sie hat sich für eine Reform, die sie langfristig für sinnvoll hielt, kurzfristig in ein PR-Desaster gestürzt. Sie hat es freilich nicht aus Edelmut getan, sondern weil sie der irrigen Hoffnung anhing, die Wirtschaft werde sich rechtzeitig beleben – und weil sie fälschlicherweise annahm, durch die Hartz-Regeln lasse sich ein großer Teil der Joblosen davon abhalten, sich überhaupt arbeitslos zu melden.

Trotzdem darf die Regierung darauf spekulieren, dass sich die Aufregung schon bald wieder legt. Hat sich die Zahl von fünf Millionen erst im kollektiven Bewusstsein der Deutschen festgesetzt, dann kann Rot-Grün bei der nächsten Bundestagswahl schon eine Vier vor dem Komma als Erfolg verkaufen. Und weil der Wahlkampf in den Sommer fällt, wenn es ohnehin weniger Arbeitslose gibt, wird diese Zahl wohl auch mühelos erreicht.

Den Arbeitslosen freilich hilft das wenig – so wenig, wie ihnen auch das Herumdoktern aller bisherigen Regierungen in der Arbeitsmarktpolitik geholfen hat. Doch darf sich kein Minister bei Strafe seiner Abwahl das Eingeständnis leisten, dass der Einfluss der Politik auf das Beschäftigungsniveau überaus bescheiden ist. Auch wenn die Arbeitgeber jetzt das Gegenteil behaupten und mit einem bloß statistischen Effekt eine Panik schüren, die nur ihren eigenen Interessen dient. RALPH BOLLMANN