köhler spricht : Hoheitliches Geschwätz
Bundespräsident Horst Köhler hat zu vielen Dingen eine Meinung. Er findet, dass man die Demonstrationen in Ostdeutschland ernst nehmen muss, dass die deutschen Muslime sich geschlossen vom Terrorismus distanzieren sollten, dass der Kanzler auf keine Veranstaltung in den neuen Bundesländern verzichten darf und dass Eliten stärker zu fördern seien. Außerdem meint er, dass Deutschland sich von dem Ziel verabschieden muss, die Lebensverhältnisse in Ost und West einander angleichen zu wollen. Auch sonst denkt er noch mancherlei und lässt sein Volk das wissen. Er schwätzt so vor sich hin.
KOMMENTARVON BETTINA GAUS
Natürlich könnte man die jüngsten Äußerungen von Köhler ernst nehmen. Dann wäre festzustellen: Der Bundespräsident möchte eine tragende Säule des Grundgesetzes, die den sozialen Frieden abstützt, ersatzlos einreißen. Dafür erscheint ihm ein Interview als der geeignete Rahmen. Darin lässt er übrigens auch noch erkennen, dass er es für nicht so schlimm hält, wenn ganze Landstriche entvölkert werden, weil deren Bewohner keine Arbeit finden. Vielleicht wäre es doch ein bisschen unfair, diese Äußerungen – inhaltlich wie formal – tatsächlich ernst zu nehmen.
Denn so waren sie bestimmt nicht gemeint. Wenn ein verantwortungsbewusstes Staatsoberhaupt einen so dramatischen Schritt wie die Aufforderung zu einer Verfassungsänderung für nötig hält, dann gehen dem schließlich monatelange intensive Beratungen mit Fachleuten voraus. Und ein verantwortungsbewusstes Staatsoberhaupt würde das Ergebnis solcher Beratungen gewiss nicht mal eben beiläufig erwähnen, sondern in einer sorgfältig vorbereiteten Stellungnahme begründen.
Da von alledem keine Rede sein kann, ist zu vermuten, dass Köhler über sein Interview einfach nicht besonders viel nachgedacht hat. Sondern halt redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Damit verstößt er allerdings massiv gegen berechtigte Interessen – vor allem gegen seine eigenen. Die Bundesrepublik ist nach wie vor stabil genug, um törichtes Gerede ihres höchsten Repräsentanten auszuhalten. Aber gilt das auch für dessen Amt? Wenn sich der Eindruck verfestigt, der Bundespräsident sei nur eine geschwätzige Stimme unter vielen, dann wächst die Zahl derer, die ihn – und sein Amt – für überflüssig halten. Das wäre schade. So sehr viele allseits geachtete Instanzen hat dieser Staat nämlich nicht mehr.
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