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Archiv-Artikel

knock-out Vitalis Courage hält die Klitschkos im Geschäft

Warten auf Mr. Jones

„Wo sind eigentlich all die großen Schwergewichte“, wurde der 81-jährige Box-Trainer Lou Duva kürzlich gefragt. „Keine Ahnung“, lautete die Antwort, „ich weiß bloß, dass Tim Duncan zu den Spurs und Shaq zu den Lakers gegangen ist.“ Seit den großen Zeiten von Muhammad Ali, Joe Frazier und George Foreman reißen die Klagen über die Königsklasse des Faustkampfes nicht ab. Nach Larry Holmes folgte noch die kurze Blüte des wüsten Mike Tyson, seit seinem Absturz schleppt sich die Sache dahin. Ein 40-jähriger Evander Holyfield treibt weiter sein Unwesen, der Engländer Frank Bruno (41) erwägt trotz einer chronischen Augenverletzung ein Comeback und selbst George Foreman redet mit seinen 54 Jahren von einer Rückkehr in den Ring. „Der müsste 115 Pfund abnehmen“, höhnt IBF-Champion Chris Byrd, „und wahrscheinlich kriegt er im Ring einen Herzinfarkt.“

Auch Lennox Lewis, das weiß man nicht erst seit dem Kampf vom Samstag gegen Vitali Klitschko, wird weder als Retter des Schwergewichts noch als großer Champion in die Box-Geschichte eingehen. „Schlimmer als ein harpunierter Wal“ (Independent) habe der Brite geschnauft, die einhellige Meinung nach dem technischen K.o.-Sieg dank einer Augenverletzung Klitschkos ist, dass die Zeit des 37-jährigen Lennox Lewis vorbei ist. Immerhin war er nach Foreman (gegen Axel Schulz) und Jersey Joe Walcott erst der dritte Schwergewichts-Weltmeister seines Alters, der einen Titel verteidigen konnte.

„Große Typen“ seien die heutigen schweren Jungs, sagt Lou Duva, „aber ein Walcott würde sie alle auseinander nehmen“. Das geringschätzige Urteil des Veteranen meint durchaus auch die Klitschko-Brüder, deren Reputation in den USA dank des couragierten Auftritts von Vitali immens gestiegen ist. Bezeichnend allerdings, dass vom Publikum in Los Angeles und den Gazetten in aller Welt ein Kampf als sensationell gefeiert wurde, den beide Boxer die meiste Zeit damit verbrachten, im Clinch aufeinander zu lehnen oder gewaltige Luftlöcher zu schlagen. Ganz abgesehen davon, dass sie schon nach wenigen Minuten so fertig wirkten wie Ali und Frazier einst nach 15 Runden. Seine große Chance verpasste ein zögerlicher Klitschko in der zweiten Runde des insgesamt ausgeglichenen Fights, als er Lewis mit einer krachenden Rechten getroffen hatte, es aber versäumte, entschlossen nachzusetzen. Dabei hatte er vor gar nicht langer Zeit kostenlosen Anschauungsunterricht in dieser Hinsicht erhalten, als dem Südafrikaner Corrie Sanders gegen seinen Bruder Wladimir ein ähnlicher Glückstreffer gelang. Sanders ließ sich nicht zweimal bitten, brachte die Angelegenheit im Hauruckverfahren hinter sich und degradierte den mächtigen Klitschko zum „Doktor Fäustchen“ (taz).

Gut möglich, dass die unterlassene Flachlegung des Titelverteidigers nicht nur Vitali Klitschkos letzte Chance im Kampf gegen Lewis, sondern auch die letzte auf den Weltmeistertitel gewesen ist. Kein Kommentator in den USA lässt sich nämlich die Pointe entgehen, dass Vitali nicht mal der beste Boxer seiner Familie ist. So könnte es sein, dass vor allem der jüngere Bruder Wladimir, wenn er sich von den Folgen der Sanders-Pleite erholt hat, von den geschäftlichen Möglichkeiten infolge des gewachsenen Klitschko-Ruhms profitiert.

Wenig wahrscheinlich scheint eine Revanche Vitalis gegen Lewis, auch wenn dieser sie gerade hoch und heilig verspricht. Kaum zu erwarten, dass sich der alternde Champ noch einmal den Fäusten des Ukrainers aussetzt, und wenn, wird er erheblich besser vorbereitet sein. Alle Zeichen deuten aber darauf hin, dass der Engländer sich zur Ruhe setzen wird, nachdem er noch den Riesenzahltag eines Kampfes gegen WBA-Titelträger Roy Jones jr. mitgenommen hat. Paradoxerweise ist der einstige Mittelgewichtler, der sich ins Lager der großen Jungs getraut hat, derjenige, dem am ehesten zuzutrauen ist, das Schwergewichtsboxen mit neuem Glanz zu erfüllen. Anstatt einer Revanche mit Lewis nachzuträumen, sollten sich die Klitschkos besser schon mal in die Warteschlange bei Mr. Jones stellen. MATTI LIESKE