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kassettchen hören (2): ulrich tukur spricht billy wilder

von WIGLAF DROSTE

Ende 1926 arbeitet der 20-jährige Billy Wilder zum Lebensunterhalt zwei Monate lang als Eintänzer im Eden-Hotel in Berlin. Der Dichter Klabund ermuntert den jungen Mann, seine Erlebnisse für die B.Z. am Mittag aufzuschreiben, wo der Text im Januar 1927 in vier Teilen erscheint: „Lieber B.W., schreiben Sie Ihre Memoiren eines Eintänzers. Das einzige, was uns heute noch an der Literatur interessiert, ist der Rohstoff, aus dem sie gemacht wird: das Leben, die Wirklichkeit, die Realität. Das Motto des Vitalismus lautet: Alles Lebendige ist nur ein Gleichnis.“ Klar wie Klabunds Einladung formuliert auch Billy Wilder seinen Text – den es nun als Hörkassettchen gibt, gesprochen von Ulrich Tukur.

Tukur spricht jungenhaft, unaufdringlich und ohne die schauspielerischen Fisimatenten, die so viele Hörspiele verderben. Genau deshalb trifft er immer exakt den Ton: „Ich habe wunschgemäß meine Entlassung als Eintänzer erhalten, und mein Zeugnis liegt in meiner Brieftasche. ( ...) Es kam so und war wie hier folgt: Es ging mir schlecht. Meine Hosen sind ungebügelt, mein Gesicht mangelhaft rasiert, der Kragen schmierig, die Hemdmanschetten gewendet. Bitter schmeckt die Zunge, bleischwer die Beine, der Magen schmerzt vor Leere und die Nerven sind kaputt. Hinter jedem Türklopfen das giftige Gesicht der Wirtin, kreischend und die Rechnung in den Fingern. Die Straße besteht für mich aus Delikatessgeschäften, Restaurants und Konditoreien, und ich halbiere meine Zigaretten, damit sie länger währen. Es geht mir schlecht. Traurige Bilanz vor einem Zigarettengeschäft: elf Pfennige, in der Weste noch fünf, macht sechzehn. Vier zu vier! So geht sich’s leichter. Wohin?“

Wilder begegnet einem Bekannten. „Potsdamer Platz. Einer schreit durch den Lärm des Verkehrs, schwingt seinen Stock, läuft einen Kinderwagen über den Haufen. ‚Hallo, dass man Sie hier trifft! Na kennens mich nicht? Roberts.‘ Ich schäme mich in den Boden. ‚Kommen Sie auf einen Kognac. Sie sind mein Gast. Auch Appetit? Na ausgezeichnet! Auto! Frei? Zu Kempinski!‘ Und im Restaurant: ‚Bringen Sie zweimal Fischmayonnaise, zweimal englisches Filet, halb roh bitte, zweimal Salat, eine Flasche Liebfrauen 1917, zuerst aber zwei große Hennessy.‘ Das ist Roberts, der Tänzer. Sein Haar ist schwarz wie Tusche und glänzend wie regennasser Asphalt. Seine Augen sind voller Süden. Er ißt warm zu Mittag und raucht Importe. In seinen Taschen klimpern Taler, er zahlt pünktlich die Miete, und der Plättfrau schuldet er keinen Pfennig.“

Ulrich Tukur macht alles richtig mit dem präzisen, lakonischen Text von Billy Wilder. Ob er das Wienerische, Russische oder das Schmissballinarische der auftretenden Figuren spricht, ob er Klavier spielt, dazu „Lieber kleiner Eintänzer“ und „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ singt – Tukur dient dem großen Text und macht ihn größer. Ein Glücksfall der Kassettchenkunst.

Billy Wilder: „Herr Ober, bitte einen Tänzer!“ Aus dem Leben eines Eintänzers. Gesprochen und gesungen von Ulrich Tukur, Patmos Verlag, 19,80 DM

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