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Archiv-Artikel

kabinenpredigt Eisiges Lächeln

Echte Berliner lassen sich nicht unterkriegen. Das Leben geht weiter, auch wenn es bisweilen keinen Sinn mehr zu machen scheint. Das Olympiastadion ist eine Todesfalle im Falle einer Panik. Was soll’s? Die WM-Gala findet nicht satt, obwohl schon 8.000 Karten dafür verkauft worden sind. Egal. Die Berliner feiern ihre Feste weiter. Dafür sind sie bekannt. Berlin ist die Hauptstadt des Frohsinns.

Das haben am Wochenende einmal mehr die Teilnehmer am 21. Eisschwimmen in Orankesee bewiesen. Was haben wir gelächelt! Die eisernen Eisschwimmer haben sich lustige Kostüme angezogen und noch lustigere Hüte aufgesetzt. Dann sind sie zur Freude der zahlreichen Zuschauer in das eiskalte Wasser der Hohenschönhausener Badepfütze gestiegen. Mitglieder des Winterbadevereins „Berliner Seehunde“ hatten ein Loch in die Eisschicht auf dem See gepickt – wie sie es immer machen, wenn der See zum Spaßbadetermin zugefroren ist. „Jetzt begrüßen wir die Abordnung der Stralsunder Eiswale!“, so tönte es aus der aufgebauten Lautsprecheranlage im Strandbad. Ein Teil der zahlreich erschienenen Zuschauer klatschte brav.

Greise, Kinder, Bierbauchträger, Muskelpakete und andere ganz normale Menschen stiegen ins Wasser und plantschten ein wenig. Sie wurden von den umstehenden Warmduschern gefeiert wie echte Sportstars. Lustige Musik mit witzigen Texten aus den 20er-Jahren animierte so manchen zu rhythmischem Klatschen. Die Stimmung hätte besser nicht sein können. Auch der Superossi, der sich gerade noch beschwert hat, dass mit der Wende beinahe auch das Eisschwimmen am Orankesee „platt gemacht“ worden wäre, fing sich schnell. „Das lassen wir uns von denen nicht nehmen“, rief die Frohnatur aus und erntete heftiges Nicken: „Genau!“

Es war die ideale Mischung aus Breitensport und Spitzenstimmung. Wem es zu kalt wurde, der konnte sich Glühwein kaufen. Das taten viele. Die Stimmung wurde immer besser. Manche Berliner wurden richtig freundlich. Einer entschuldigte sich sogar, nachdem er seinem Hintermann auf die Füße getreten war. Aus Zuschauern wurden Freunde.

Es geht also auch ohne Gäste aus der ganzen Welt. Was brauchen wir eine WM-Gala? Wir haben unser Eisschwimmen. Plötzlich schlug die Stimmung um. Einer hatte geglaubt, das Wort „München“ vernommen zu haben. „Nein, die nicht!“, schrie die Frohnatur von vorhin: „Von mir aus können sie die ganze WM absagen, Hauptsache die Ersatzveranstaltung findet nicht in München statt.“ Dem war nichts mehr hinzuzufügen. Es konnte weitergefeiert werden. Einer soll sogar gelacht haben.

Andreas Rüttenauer