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Archiv-Artikel

kabinenpredigt Weniger ist mehr

Bislang galt als gängige Lehrmeinung, dass Spitzenleistungen im Kampf gegen die Uhr insbesondere durch eine enge Konkurrenzsituation herausgekitzelt werden.

Deutschlands Vorzeigeschwimmerin Britta Steffen erklärte Mitte letzter Woche hingegen das Gegenteil für richtig. Nachdem sie in Berlin über 50 Meter Freistil Deutsche Meisterin wurde und einen neuen Landesrekord aufgestellt hatte, sagte sie: „Es macht halt Spaß, unter Deutschen schnell zu schwimmen.“ Im Klartext hieß das: Es macht mir halt Spaß, den anderen davonzuschwimmen. So kann ich an meine Grenzen vorstoßen.

Bei der Weltmeisterschaft Ende März in Australien zeigte die Berlinerin zwar als eine der ganz wenigen im deutschen Kader gute Leistungen und gewann über 100 Meter Freistil eine Bronzemedaille. Das beglückte jedoch kaum jemanden. Steffen war die letzte Goldhoffnung der einst so stolzen Schwimmnation. An ihre Bestzeiten kam sie in Gegenwart ihrer härtesten internationalen Rivalinnen nicht heran.

Gelungen ist ihr das erst gut eine Woche nach der WM bei den Deutschen Meisterschaften. Vom großen Druck befreit und vom Wissen beflügelt, dass ihre deutschen Kolleginnen nur hinterherplanschen konnten, schwamm sie wieder Fabelzeiten. Auch auf ihrer Paradestrecke, den 100 Metern Freistil, war sie am Samstag schneller als in Melbourne.

Und das, obwohl Steffen in Berlin mit den Nachwirkungen eines Schnupfens zu kämpfen hatte. Infolgedessen konnte sie zuvor nämlich nur wenig trainieren.

Steffen konterkarierte mit ihren Ergebnissen auch die schlichten Schlussfolgerungen, die Örjan Madsen, der Sportdirektor des Deutschen Schwimmverbands, aus dem schlechten Abschneiden seines Teams in Australien gezogen hatte: arbeiten, arbeiten und noch mehr arbeiten. Das fordert er allerdings schon seit einem Jahr mit der Monotonie, die für einen Galeerenantreiber typisch ist. Absolute Fokussierung auf den Sport, lautet seine Forderung.

Der Fall Steffen offenbart wieder einmal, was sich Fitnessfetischisten so gar nicht vorstellen können: Weniger kann auch mehr bedeuten. JOHANNES KOPP