juttas neue welt: In der ersten Liga für Bewegungsscheue
Über den Internetspätzünder Steffen, der sich von null auf hundert süchtig surfte, habe ich im April berichtet. Einige Leser haben mir geschrieben. Sie machen sich Sorgen um ihn. Sie haben Recht. Steffen zieht immer noch die virtuelle der wirklichen Welt vor – und seine Freunde kämpfen mit allen Mitteln, ihn von seiner Netzabhängigkeit zu heilen. Aber bislang endeten unsere Bemühungen stets damit, dass er doch wieder an den Online-Nadel hing – selbst jetzt im Sommer bleibt er lieber drin.
Da war zum Beispiel der Tipp-Kick-Trick. Vor seiner Cyberjunkie-Ära und als er das Haus noch verließ, war Steffen ein begeisterter Fußballer. Und ich hoffte, mit meinem alten Tipp-Kick-Set seine erloschene Leidenschaft wieder wecken zu können. Eines Abends gelang es mir tatsächlich, ihn vom Computer wegzulocken und in einige Partien auf dem kleinen Filzfeld zu verwickeln. Doch als er bemerkte, dass es unter www.tipp-kick.de viel zu entdecken gibt, stand ich wieder völlig im Abseits. Wenigstens die EM-Spiele verfolgt er gewissenhaft, und er konnte mir sogar erklären, was der Uefa-Koeffizient ist – bei dem Versuch, Steffen wieder an das wahre Leben zu gewöhnen, allerdings nicht gerade ein überwältigender Erfolg.
Sein Freund Weber hätte es dagegen fast geschafft. Er stand eines Tages vor Steffens Wohnung, mit einer seltsamen Wanne unter dem Arm – einem Eishockeybord, der Wintersportvariante von Tischfußball. Durch Drehen, Schieben und Ziehen setzt man knollige Plastiksportkameraden in Bewegung und versucht, den Puck im gegnerischen Tor zu versenken. Steffen war hin und weg – er schien sogar das Internet für mehrere Stunden vergessen zu haben und war stattdessen im Miniatur-Eishockey-Fieber.
In derselben Nacht tauchte der hoffnungslose Fall jedoch wieder im Cyberspace unter und mailte mir die Links von zahlreichen Websites, die er über Bordhockey ersurft hatte. Traurig stolperte ich auf ihnen herum und fragte mich, wie das mit Steffen noch enden soll. Bis mich die Aufforderung „Klicka här“ zum Lachen brachte. Ich gehorchte, klickte und kapierte schließlich: In Skandinavien ist Stubenhockey ein echter Volkssport – und das mit einer ambitionierten Internetpräsenz.
Dass in der NBA nicht nur um Körbe gebasketballert wird, lernte ich auf der Seite der „Norge Bordhockey Allianse“ unter home.c2i.net/gmyklebu/NBAnett/nba.html – der norwegischen Profiliga für Bewegungsscheue. „Bodens Bordshockeysbibel“ unter hem.fyristorg.com/bbhs/finter/finter.htm spricht den Wannensport gleich heilig und preist ihn als „finaste delikatess“. Eine noch feinere Delikatesse der Seite ist das umfangreiche Taktikprogramm. Hier findet man animierte Spielzüge, die dem Bordhockeyspieler zu Ruhm und Ehre verhelfen. Steffen kennt sie mittlerweile alle, und wenn er gerade mal nicht surft, übt er den „Norsk Bulldozer“, den „Gurkburk“ oder den „Classic Gretzky“ – benannt nach dem weltbesten Eishockeyspieler: Der Puck wird hinter dem Tor rum zum Mitspieler vorgezirkelt, und der knallt ihn dann hammerhart rein. Gar nicht so einfach mit aufgespießten Plastikskulpturen in dem komischen Trog auf dem Küchentisch; ich zumindest mache dabei ein miese Figur. Die Männchen dagegen sind schön anzusehen unter www.ee.oulu.fi/~vkampman/kiekko.html.
Obwohl Steffen mit Weber mittlerweile den ersten rheinhessischen Bordhockey-Club ZSKA Moguntia Mainz gegründet hat und er sich schwer für den Indoor-Freizeitsport begeistert – von seiner Internetsucht geheilt ist er noch lange nicht. Allerdings möchte er bald nach Finnland fahren und in Pöytäjääkiekon am 4. Bordhockey Summer Cup teilnehmen. Nicht unbedingt mein Traumreiseziel, aber so käme das dot.com-Bleichgesicht wenigstens mal wieder vor die Tür.
Jutta Heeß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen