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Archiv-Artikel

jetzt wird abgerechnet, schuft! von JOACHIM SCHULZ

„Für dich“, sagte die Liebste und hielt mir den Telefonhörer hin: „Es ist Anita.“ – „Anita?!“, staunte ich. „So ist es“, sagte die Liebste und grinste, denn sie wusste über die große Romanze meiner Jugend Bescheid.

Meine Zeit mit Anita begann kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag. Wir waren uns sicher, dass uns die Schicksalsmächte für ein gemeinsames Dasein vorgesehen hatten, und planten, gleich nach dem Abitur nach Paris zu ziehen, um in irgendeiner winzigen Kabuse auf dem Montmartre ein glückliches Leben in süßer Verliebtheit zu führen.

Bedauerlicherweise indes kam diesem schönen Plan eine andere junge Frau in die Quere, die ich bei einer Straßenbahnfahrt kennen lernte. Nachdem ich sie ein paar Mal heimlich getroffen hatte, begann ich Zweifel an dem Beschluss der Schicksalsmächte zu hegen, und wenig später trennte ich mich mit Hilfe eines kurzen Briefes von Anita. Nie suchte ich das Gespräch mit ihr, nie bat ich sie um Verständnis oder Verzeihung, und als sie im folgenden Sommer zum Studieren nach Heidelberg ging (gleichzeitig schickte mich übrigens die Straßenbahnschönheit in die Wüste), verlor ich sie für immer aus den Augen.

„Sie will mich treffen“, sagte ich, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte. „Tja“, sagte die Liebste: „War klar, dass du dich für diese Schurkerei eines Tages verantworten musst. Kommt sie zu uns?“ Ich schüttelte den Kopf. „Sie will wohl neutrales Terrain. Wir treffen uns am Samstag im Bahnhofscafé. Sie reist mit dem Zug um halb eins an und fährt gleich hinterher wieder ab. „Na, dann“, sagte die Liebste süffisant, „sollten wir besser sicherstellen, dass auch genug Verbandszeug im Haus ist.“

Als ich das Bahnhofscafé betrat, war sie bereits da. „Schön, dich zu sehen“, sagte ich zaghaft. Sie aber war an Artigkeiten nicht interessiert. „Ich habe in drei Stunden noch einen anderen Termin dieser Art in Frankfurt“, sagte sie: „Also lass uns zur Sache kommen. Ich möchte dich um Vergebung bitten.“ – „D-du … äh …?“, stotterte ich. Sie schnitt mir das Wort ab: „Ich habe dich damals zweimal mit einem Pflastermaler aus Kopenhagen betrogen.“ „Oh!“, machte ich. „Nächsten Monat“, fuhr sie fort, „werde ich nach Indien gehen, um dort ein neues Leben anzufangen. Aber vorher muss ich alle Makel meines alten Daseins tilgen, verstehst du?“ Ich musste schmunzeln. „Weil du sonst beim nächsten Mal als Kellerassel wiedergeboren wirst?“, fragte ich amüsiert. Doch solche Scherze mochte sie gar nicht. „Das ist nicht komisch!“, wies sie mich zurecht: „Also, was ist: Verzeihst du mir?“ „Natürlich“, sagte ich: „Ich möchte dich aber ebenfalls für eine Verfehlung …“ Doch wieder schnitt sie mir das Wort ab. „Danke“, sagte sie, trank ihren Kaffee aus und verschwand grußlos.

Als ich nach Hause kam, blickte die Liebste mich erwartungsvoll an. „Kein blaues Auge?“, fragte sie: „Das heißt, sie hat dir vergeben?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Das“, antwortete ich vorsichtig, „kann man so nicht sagen. Doch immerhin habe ich verhindert, dass sie ihr nächstes Leben als Kellerassel unter einer Gehwegplatte verbringen muss, und das wird hoffentlich genügen, um mein Minus in der Schuldbuchhaltung des Weltenrichters auszugleichen.“