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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia

Zwangsvorstellungen oder Wie mich die Bikinilesbe Birgit fand, obwohl ich extra meine E-Mail-Adresse geändert habe

Wenn man nicht Jim Knopf oder Kim oder Pips oder Bill Bo heißt, kann man ohne Mund nicht sprechen. Wurde mir so beigebracht, und ich hab’s immer für logisch gehalten und geglaubt. Bis ich neulich aus Versehen mal wieder eine der „Wo warst du denn Samstag eigentlich?“-Mails angeklickt habe. Das ist dieser unverschämte Erotik-Spam, den man geschickt bekommt, wenn man bei amazon.de seine Adresse angibt, um ein Sachbuch über den Leuchtenden Pfad zu bestellen, oder wenn man versucht, bei eBay eine CD von Georgie Fame zu ersteigern, oder was der harmlosen Dinge mehr sind.

Die „Wo warst du denn Samstag eigentlich?“-Post wirkte unverdächtig. Manchen meineR FreundInnen sähe es durchaus ähnlich, aus Rücksicht am Sonntag eher eine Mail zu schreiben als anzurufen, weil das Klingeln so laut ist. Und da ich mich auf Partys nur notgedrungen und nur von den Menschen verabschiede, die mich meine Jacke suchen sehen, dachte ich also, irgendjemand Nettes habe sich den Absender „Birgit“ zugelegt und wolle jetzt wissen, wieso ich am Samstag einfach abgehauen bin. Jene „Birgit“ behauptete in der Mail jedoch, sie habe mich „schon öfter gesehen“, sich aber nie getraut, mich anzusprechen, sie sei „sehr einsam“, habe „rote Haare“ und „einen Wahnsinnskörper“. Den könne ich unter www.bikinicats.com quasi einsehen.

Von der Party am Samstag war gar nicht mehr die Rede, und darum roch ich auch gleich den Braten und ärgerte mich, weil ich ein paar Wochen zuvor extra meine Mailadresse geändert hatte, um nicht mehr so oft Post von solch aufdringlichen vermeintlichen Bikinilesben zu bekommen. Aber die Bikinilesben scheinen mich zu finden, wo immer ich bin. Ich beschloss, der Seite dieses Mal wirklich einen Besuch abzustatten, um eine gepfefferte Mail an „Birgit“ zurückzuschreiben.

Leider konnte ich dort nicht herausfinden, wer Birgit ist. Wahnsinnskörper gab es zwar genug zu sehen, aber erstens größtenteils ohne Haare und zweitens ohne Kopf. Ich fragte mich natürlich, wieso die meisten Fotos kopflose Damen zeigten. Interessieren sich Männer nicht für Köpfe? Oder soll man das Passfoto seiner Geliebten auf den Rechner kleben, um jedwede sexuelle Betätigung ohne sie auszuschließen?

Beim Darübernachdenken fiel mir auf, dass das Köpfchen-Wechsel-dich-Spiel in verschiedenen Mutationen eigentlich schon seit Ewigkeiten durch Schlaf- und andere Zimmer geistert. Vor ein paar Jahren, in einer sehr kurzen und blamablen Keanu-Reeves-Phase, schenkte mir ein Freund einmal ein Foto, auf dem er Keanu Reeves’ Kopf auf einen Männerkörper aus einem Männerkörper-Kartenspiel geklebt hatte (also nicht auf den Herzbuben aus dem Canasta-Blatt, sondern auf einen aus diesen Nacktmodell-Quartetten).

Außerdem besitze ich eine Tasse, auf der die Gesichter zweier enger Freundinnen auf den Körpern zweier stark übergewichtigen nackten Damen zu sehen sind, die sich zusammen in eine sehr kleine Badewanne quetschen. Gut erinnere ich mich auch an ein Bild in dem anachronistischen Jugend-forscht-Organ Bravo, auf dem der Kopf der Sängerin des One-Hit-Wunders „Four Non Blondes“, einer kleinen Dreadlock-bezopften Amerikanerin in Springerstiefeln, auf einen mit Silikon voll gestopften, gebräunten Pornokörper geklebt wurde.

Lustig ist das ja, aber erregend irgendwie nicht. Außer für alberne Partyeinladungen würde ich die Köpfe meiner hageren, haarlosen, männlichen Intellektuellen-Freunde nie auf lauter Brusttoupets über Zehnkämpfer-Schenkel-Fotos kleben wollen. Und keinesfalls würde ich mir diese Brusttoupets überhaupt ohne Gesicht anschauen. Wer weiß, wie die fehlenden Gesichter sind! Ich würde im Gegenteil Zwangsvorstellungen entwickeln, und in jedem fehlenden Antlitz Ralf Möller oder meinen Vermieter vermuten.

Abschließend möchte ich noch schnell schlussfolgern, dass Männer, die diese Zwangsvorstellungen offensichtlich nicht entwickeln, demzufolge entweder viel mehr Fantasie als Frauen haben oder viel weniger. Womit mal wieder eine recht vage Aussage zu dem schwer zu beschreibenden Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht wurde, zugegeben. Aber manchmal ist die Annäherung an ein Phänomen fast besser als seine Analyse.

fragen zu sex & lügen? kolumne @taz.de