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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Den mageren Bräuten mächtig auf die Klappe

Wer will heutzutage schon noch Feuerwehrfrau werden? Wo doch „Halb-Weltergewicht“ viel besser klingt

Ob es für mich zu spät ist, eine Boxerkarriere aufzubauen? So schlecht, glaube ich, stünden meine Chancen gar nicht, angeblich bestehen die 18 Gewichtsklassen beim Damenprügeln ohnehin nur immer aus ein paar wenigen oder gar keinen Mäusen pro Klasse, und wenn ich mir eine zünftige Essstörung züchte (das geht schnell bei ProfisportlerInnen!), dann kann ich mich als momentan schweres Leichtgewicht (bis 61,23 kg) bestimmt schnell ins Super-Federgewicht (bis 58,96 kg) mogeln. Und dann hau ich den mageren Bräuten mächtig auf die Klappe.

Obwohl ich, ganz ehrlich, lieber ein paar Kraftriegel mehr mampfen und ins Halb-Weltergewicht (bis 63,5 kg) aufsteigen würde. Denn erstens gibt es dort extrem wenige Gegnerinnen, was mich daran erinnert, dass ich mit dem ehemaligen norddeutschen Vizemeister im Breakdance befreundet bin, der diesen Titel nur auf seine Visitenkarten (unter „Grundschullehrer“) drucken darf, weil sich damals, Anfang der 80er, in einer Bippener Großdisko außer ihm nur ein einziges anderes Männchen zum Battle angemeldet hatte. Zweitens, um zurück in den Ring zu gehen, klingt „Halb-Weltergewicht“ zu schön, um wahr zu sein. Das muss man sich nur mal auf der Zunge zergehen lassen, da geht es um Boxen, Blut, Fäuste, Zuhälter, Hamburg, Schiebung, dreckige Fight Clubs, und dann „Halb-Weltergewicht“! Das ist so, als ob man den Birdy beim Golf „Bourgeoisy“ nennen würde oder beim Tennis vom „Angeber“ sprechen würde, für den, der den Aufschlag, also die Angabe macht.

Wenn ich anfange zu boxen, möchte ich selbstredend auch einen echten, ehemaligen Profi als Trainer, der mir in jeder Rundenpause dasselbe sagt und bei dem es mindestens eine halbe Minute lang sichtbar klickert, bevor er auf schwierige Fragen wie „Wie heißen Sie?“ antwortet. Er soll mich triezen wie bekloppt, und an meinem Geburtstag, an dem ich natürlich von früh bis spät trainieren muss und am Abend verschwitzt, allein und traurig in den Seilen hänge, schenkt er mir plötzlich ein kleines Yes-Torty mit einer brennenden Kerze drauf, und das macht mich so glücklich, weil ich vorher ja gedacht hatte, er habe meinen Geburtstag komplett vergessen, und mich wie die einsamste Profi-Halbweltlerin auf Gottes grüner Erde fühlte.

Irgendwann werde ich mich vermutlich in meinen Trainer verlieben, denn erstens lerne ich nicht mehr so viele andere Männer kennen, zweitens hat schon Dr. Hannibal Lector gesagt, dass man „das begehrt, was man sieht“, und drittens mag er vielleicht ein wenig schwer von Kapee sein, aber was wollt ihr eigentlich, für mich reicht’s, es kommt schließlich auf ganz andere Dinge an, und irgendwie hab ich in letzter Zeit das Gefühl, dass meine eigene Denkgeschwindigkeit … äh … was wollte ich sagen? … ach ja, dass meine eigene Denkgeschwindigkeit auch etwas nachgelassen hat, mit den Kämpfen.

Meiner Nase sieht man übrigens kaum etwas an, beziehungsweise mein Trainer meint, dass mir das ganz hervorragend steht, und ich solle nicht immer darauf hören, was diese blöden Stinkstiefel um mich herum sagen. Hat noch jemand etwas über meine Nase zu sagen?? Naa??? Ich warte … Keiner? Na gut. Ich öffne die Fäuste ja schon wieder. Für den Playboy würde ich mich allerdings nicht ausziehen, das sollen lieber Iris Berben und Andrea Fischer und so weiter machen, diese Frauen, die sonst nichts zu tun haben. Obwohl es deswegen höchstwahrscheinlich Streit mit meinem Trainer geben wird. Er behauptet, ich müsse an das Frauenboxen als solches denken und jede Chance nutzen, Sponsoren aufmerksam zu machen. Aber Trainer, mir laufen schon fast die Tränen runter, seit ich diese neuen, komischen Tabletten schlucke, die er mir jeden Morgen neben das Isostar legt, hab ich erschreckend nah am Wasser gebaut, Träner, Quatsch, Trainer, ich will mich nicht in der Öffentlichkeit ausziehen! Das machst du doch beim Boxen auch, sagt er, und jetzt fällt mir so schnell kein Gegendings, Gegenargument ein. Das ist irgendwie etwas anderes, sage ich und schlucke. Der Playboy bildet halb nackichte Frauen ab, um damit die Leser anzumachen, und ich will nicht die Wichsvorlage für irgendeinen Möchtegern-Womanizer sein. Das kannst du ohnehin nie ganz ausschließen, wenn du in der Öffentlichkeit stehst, sagt mein Trainer, und ich frage mich, woher er plötzlich diese Logik nimmt. Früher, zu Anfang unseres Verhältnisses, konnte ich ihn immer noch lässig argumentativ aushebeln. In letzter Zeit fällt mir das Überlegen schwer. Ich muss die Karriere als Profiboxerin noch mal überdenken. Vielleicht bleibe ich doch lieber bei meinen Leisten. Also Fäusten. Also Händen.

Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de