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Archiv-Artikel

jazzkolumne Die vielfältigen Projekte der Jazzpianistin Aki Takase – ein Leben für die Improvisation

Subversive Stärke schimmert bei Aki Takase durch, radikal, verschmitzt, uneinnehmbar.Der Sound, sagt sie, muss von innen wachsen

Die Cover bastelt sich Eugene Chadbourne aus alten LP-Hüllen, die er mit Fotokopien, kleinen Kritzeleien und Wortfetzen verziert. „Corpses of Foreign War“ (1986) oder „Country Music in the World of Islam“ (1989) heißen die CDs, nähere Informationen über Titel und Mitwirkende bleiben spärlich, Klebeband hält die LP-Kartonreste zusammen, die CDs stecken in Briefumschlägen, in die Ärzte normalerweise ihre Rezepte eintüten. Das größte Budget, das er für eine CD-Produktion mal zur Verfügung hatte, beziffert er mit 3.000 Dollar. Von 1972 bis 1976 hielt sich der Autodidakt als Kriegsdienstverweigerer in Kanada auf, danach machte er Aufnahmen mit John Zorn, Frank Lowe und Carla Bley und tourte mit der New Yorker Avantgarde durch Europa.

Der in North Carolina lebende Banjo- und Gitarren-Provokateur Eugene Chadbourne wurde von der New Yorker Jazzszene aber nie durchgewunken, irgendwann zog er dann in die Provinz um. Umso besser passt, dass Chadbourne jetzt bei einem Projekt dabei ist, das tief in der schwarzen Tradition gräbt. Die in Berlin lebende Pianistin Aki Takase hat eigentlich einen Sänger gesucht, da schlug ihr der Schlagzeuger Paul Lovens eben Chadbourne vor. „Aki Takase plays Fats Waller“ heißt nun diese Tribut-CD (Enja) für den Pianisten und Sänger Fats Waller, von dem behauptet wird, er habe Klassiker der Jazzgeschichte wie „Ain’t Misbehavin’ “, „Honeysuckle Rose“ und „I’m Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter“ mal eben so zwischendurch komponiert, im Taxi oder sogar während einer laufenden Show, und die Urheberrechte teils sofort für wenige Dollar verkauft. Am Sonntag wurde Takase für diese CD mit dem Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.

„Die alten, berühmten Melodien, die in Aki Takases Musik plötzlich hörbar werden und wieder verschwinden, kommen mir vor wie die wunderbaren Traumbilder“, schreibt die japanische Schriftstellerin Yoko Tawada, mit der Takase ein gemeinsames Jazz-Poetry-Projekt unterhält. Ob sie nun im Duo mit David Murray Kompositionen von Thelonious Monk oder mit Rudi Mahall Sachen von Eric Dolphy spielt, Takase ist immer überraschend eigenartig. Subversive Stärke schimmert durch, radikal, verschmitzt, uneinnehmbar.

Wiederholt schaffte sie es schon auf die Bestenliste der deutschen Schallplattenkritik, so auch mit „Duet for Eric Dolphy“, einer CD mit dem Bassklarinettisten Rudi Mahall, der, wie Takase sagt, so zauberhaft über ganz einfache Melodien improvisieren könne. Ganz anders wiederum klingt „Tristano 317“, ihr Ding über den sagenumwobenen Pianisten, der unter anderem mit seinem „Requiem“ für Charlie Parker Geschichte machte, einer Hommage an die tiefen Töne. Takase sagt, dass ihr gerade diese horizontale Linie sehr gut liege. Takase steht auf Individualität, Kraft und Ausdruck. Das bestimmt ihre Musik, und damit schafft sie auch die überzeugende Verbindung zwischen den Klassikern des Genres und der zeitgenössischen Improvisation. Beim Tristano-Projekt geht es auch um Timing, seine Komposition „317 E/3rd Street“ muss in exakt 3 Minuten und 17 Sekunden abgespielt sein, sagt Takase.

Für den afroamerikanischen Posaunisten und Komponisten George Lewis, der Takase für ein gemeinsames „virtuelles Orchesterkonzert“ beim Total Musik Meeting vor drei Jahren eingeladen hatte, ist das so: „Wenn ich – sozusagen im wirklichen Leben – auf Improvisatoren wie Alexander von Schlippenbach, Aki Takase oder Paul Lovens treffe, sehe ich, wie wichtig diese Haltung für die zeitgenössische Musik heute ist. Diese Menschen haben ihr Leben der Improvisation gewidmet.“

Zum Jazz kam Takase, die schon seit dem dritten Lebensjahr Klavierunterricht hatte, eher zufällig; während ihrer Ausbildung zur Konzertpianistin an der Tohogakuen Music University begleitete sie eines Tages eine Freundin in einen der zahlreichen Jazzclubs Tokios. Dass das ganz einfach sei, habe sie damals beim Anblick der Musiker auf der improvisierten Bühne gedacht, denn die spielten ganz ohne Noten. Dann begann sie das zeitgenössische Konzertrepertoire quer zu dem zu spielen, was sie sich von den Jazzplatten abhörte. Aki Takase ist eine Autodidaktin des Jazz, eine universitäre Jazzausbildung hat sie jedenfalls nicht durchlaufen – hätte sie auch nicht wollen, gibt sie zu Protokoll, der Sound müsse von innen wachsen.

Seit vielen Jahren lebt Aki Takase schon in Berlin, auch wenn ihr Timer sie oft auf Reisen schickt. Zwar fehlt ihr der frische Fisch und die Winter seien zu lang und zu kalt, aber hier habe sie halt ihr privates Glück gefunden und das Gefühl der Freiheit, welches es allein in einer pulsierenden Großstadt gebe. Neben einer alljährlichen Japantournee tritt sie regelmäßig bei den wichtigen Festivals in Europa auf. Im März gab es in Berlin die CD-Aufnahmen von Takases jüngster Band, Aki & The Good Boys, bei der auch Rudi Mahall wieder dabei ist. Der Bandname stammt von Takases Ehemann Alexander von Schlippenbach, der übrigens gerade die Live-Aufnahmen für seine 59 Stücke umfassende 3-CD-Box „Das Gesamtwerk Monk“ beendet hat, die im Januar beim Schweizer Intakt-Label erscheinen soll. CHRISTIAN BROECKING

Vom 1. bis 11. Dezember ist Aki Takase mit Aki & The Good Boys auf CD-Release-Tour