in fussballland : CHRISTOPH BIERMANN über Klaus Toppmöller
Die ganze Wahrheit
Während der letzten 90 Minuten Klaus Toppmöllers als Trainer in der BayArena begann ich mich über ihn zu ärgern. Wie da gespielt wurde, hatte ich schon fünf Jahre zuvor gesehen, als Toppmöller noch beim VfL Bochum war und seine Mannschaft so aussichtslos der Zweiten Liga entgegenglitt wie jetzt Leverkusen. Damals stieg Bochum ab, nur eine Saison nach den einzigen internationalen Spielen, die es in der Geschichte des Klubs je gegeben hatte.
Ich saß da, schaute Bayers Gekicke in Auflösung zu und war nicht deshalb enttäuscht, weil mir das Schicksal des Klubs besonders nahe gehen würde. Es ging mir auch nicht um Toppmöller selbst, obwohl er ein umgänglicher Mensch ist, dem man keinen Misserfolg wünscht. Ich hatte mir nur mehr von ihm erhofft. Dass er aus seinen Erfahrungen die richtigen Schlüsse gezogen hätte und über den Moment hinaus zum Kulturrevolutionär des deutschen Fußballs werden würde.
Der englische Autor Simon Kuper hat in seinem gerade erschienenen Buch „Ajax, The Dutch, The War“ eine interessante These aufgestellt: „Der traditionelle deutsche Fußball leitet sich nicht von einem ‚deutschen Charakter‘ ab, was immer das sein mag, sondern von einer bestimmten historischen Epoche: die Jahrzehnte der Kriege, die 1860 begannen.“ Besonders während der Nazizeit, so behauptet Kuper, wäre Fußball mit soldatischen Begriffen aufgeladen worden und hätten sich die Spieler in Kämpfer verwandelt. Auch das Ende des Zweiten Weltkriegs habe diese Idee überstanden, und den WM-Sieg von 1954 mitbegründet. „Die soldatische Tradition verblasste in Deutschland, setzte sich aber im Fußball einfach deshalb fort, weil niemand die Notwendigkeit sah, sie auszurotten.“ Klaus Toppmöller hätte das gelingen können.
Im letzten Jahr führte ich Gespräche mit Kollegen aus England und Spanien, Belgien und Holland (ja, Holland), die ganz aus dem Häuschen darüber waren, dass eine Mannschaft aus Deutschland solch hinreißenden Fußball spielte. Bayer Leverkusen hatte Esprit, war leichtfüßig und elegant. Den Weg ins Finale der Champions League ging die Mannschaft ohne das zähnefletschende Mantra eines Oliver Kahn, der „nie, nie aufgeben“ will. Besonders die Engländer waren zudem entzückt von einem Trainer, der nach dem Erfolg im Halbfinale gegen Manchester United sagte, dass er erst mal ein Bier trinken gehen würde. Der nach dem Spiel gegen Barcelona für seinen Sohn ein Trikot von Patrick Kluivert geholt und bei der Beobachtung des FC Liverpool im Fan-Shop des Klubs eingekauft hatte. Klaus Toppmöller war nicht cool, sondern ein Fan wie du und ich. Deshalb verstanden sie selbst aus der Ferne den besonderen Zauber, dass gerade unser Mann auf der Trainerbank den schönsten Fußball spielen ließ.
In kleinerem Maßstab war das schon beim VfL Bochum so gewesen, und deshalb pfiff im Ruhrstadion selbst dann niemand gegen Toppmöller, als seine Mannschaft nur noch ein Torso war. Wie auch jetzt in der BayArena niemand auf den Rängen seinen Rauswurf forderte, nicht nur als Referenz gegenüber seinen Verdiensten, sondern weil es ein Verrat der eigenen Sehnsüchte gewesen wäre.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn Toppmöllers Vorteil der Emphase ist auch sein Problem geblieben. Er verweigert eine innere Distanz zu seinen Spielern. Nicht, dass er mit ihnen Bier trinken geht. Aber im Tiefsten seines Herzens möchte er einer von ihnen sein, selbst wenn sie in der Stunde der Not einen Vorgesetzten mit klaren Anweisungen suchen. Das aber will er nicht wirklich und sträubt sich dagegen. Er will noch spielen, wo der Weg dahin zurück nur über Strenge und Arbeit führt. Spürt Toppmöller das, verliert er die Lust – und seine Magie verfliegt.
Dann ist es vorbei und die Szenerie gehört wieder jenen, die nur über den Erfolg reden und nie über den Weg dorthin. Die keine Romantiker sein wollen und sich nicht um Schönheit scheren, sondern um den Kampf. Klaus Toppmöller hat uns wieder mit ihnen allein gelassen. Hoffentlich ist er bald zurück – und hat verstanden.
Fotohinweis: Christoph Biermann (42) liebt Fußball und schreibt darüber.