in fußballland : CHRISTOPH BIERMANN über die Aura im Fußball
Kohler, mein Musterschüler
Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber.
Vielleicht lag es an der goldrandigen Brille, dass Jürgen Kohler mir damals wie mein Musterschüler vorkam. Aufmerksam zugehört hatte er, den Kopf dabei leicht zur Seite gelegt und mitgeschrieben, was mitzuschreiben war. Offensichtlich gehörte er zu den besonders lernwilligen Teilnehmern des Rhetorikkurses, der ein Teil des verkürzten Trainerlehrgangs für verdiente Fußballer des Volkes war. Berti Vogts hatte ihn noch als Bundestrainer angeregt und sich damit den Zorn vieler Fußballlehrer zugezogen, die nicht der Ansicht waren, dass eine große Karriere am Ball eine Abkürzung zur Trainerbank verdiente.
Ich konnte den Klinsmanns, Sammers oder Kuntz damals nur wenig Neues über den Umgang mit der Presse erzählen, von ein paar grundsätzlichen Hinweisen einmal abgesehen. Auch Jürgen Kohler wusste längst, wie es geht, das konnte ich dieser Tage wieder sehen, als er in Leverkusen als neuer Sportdirektor vorgestellt wurde. Gut machte er das, in einer ausgewogenen Mischung aus Verbindlichkeit und demonstrativer Entschlusskraft überzeugte er die nölige Meute Reporter.
Dass dem lernwilligen Mann in den Zeitungen jedoch umgehend und ziemlich einhellig die Rolle eines Retters zugewiesen wurde, gehört zu den Mysterien des Fußballs. Denn warum soll jemand, der zuvor noch nie als Sportdirektor gearbeitet und gerade neun Monate auf der Trainerbank gesessen hatte, ein Instant-Erfolg in neuer Rolle sein? Warum bekam Kohler neben einem Katzentisch im Büro von Reiner Calmund einen Vertrag über fünf Jahre? Eine logische Erklärung gibt es dafür nicht, sondern nur eine, die in der seltsamsten Branche der Welt gilt.
Eines der dort am höchsten gehandelten Güter ist nämlich Aura. Die kann man sich vor allem auf dem Platz erwerben, durch sportliche Erfolge und die Art und Weise, wie diese zustande gekommen sind. So hüllen sich die Protagonisten in einen Stoff der Legenden, die sie zu angesehenen Mitgliedern im Land des Fußballs machen. Ihre Aura hilft bei weiteren Kämpfen auf dem Rasen, wo die Gegner ihnen mit Respekt begegnen und die Mitspieler ihr Wort achten. So war es bei Kohler oder Klinsmann, Sammer oder Kuntz.
Nun muss ein guter Spieler noch lange kein guter Trainer werden, denn die Wahrnehmung auf dem Spielfeld ist meist die einer Abfolge von Momenten, während der Trainer die Zusammenhänge dazwischen erkennen muss. Und ein Sportdirektor noch weiter gehende. Dazu kommen handwerkliche Fähigkeiten, die ebenfalls nicht einfach daraus erwachsen, dass man viele Jahre selbst den Anweisungen von Fußballlehrern gefolgt ist. Doch offensichtlich ist die Aura großer Spieler so blendend, sorgt automatisch für Glaubwürdigkeit und Kredit, dass sich Klubchefs und Fans davon nur zu gerne beeindrucken lassen. Sie setzen darauf, dass die Aura auch da ihre Wirkung tut, wo die alten Helden absolute beginners sind.
Mitunter passiert das auch, zum Beispiel wenn man an Franz Beckenbauer, Rudi Völler oder Matthias Sammer denkt. Doch das Lernen konnten selbst sie nicht überspringen. Denn es dauert, bis selbst die im strahlendsten Glanz badenden Spieler in neuer Aufgabe wieder Könnerschaft entwickelt haben. Felix Magath etwa, ein großer Spieler von einst, dessen Tor dem HSV den Europapokal der Landesmeister sicherte, brauchte zehn Jahre, um ein Trainer von Format zu werden. Er galt wegen seines äußerst harten Trainingsprogramms als „Quälix“ und seiner Härte den Spielern gegenüber als „Saddam“. Erst jetzt in Stuttgart ist es ihm gelungen, seine Strenge um die entscheidende Nuance zu relativieren, auf wütende Ausfälle und erbarmungsloses Straftraining auch mal zu verzichten und sein Team so in Höhen der Tabelle zu führen, wo es niemand vermutet hätte.
Nirgendwo wird geglaubt, dass Menschen etwas ohne Erfahrungen und Lernschritte einfach zufällt. Außer im Fußball, dieser vormodernen Welt. Weshalb auch Sportdirektor Kohler noch eine ganz Zeit brauchen wird, bis er seinen Arbeitsplatz ausfüllen kann. Wie Jürgen Kohler will er das tun, kündigte er an. Also wie ein Novize.