in fußballland : Nur geholfen
Der Journalist Hugo Borst hat einen Schiri als Schieber beschimpt. Dafür wäre er fast gesperrt worden
Christoph Biermann, 43, liebt Fußball und schreibt darüber.
So ein Wutausbruch hätte mir auch passieren können. Oder auch nicht, denn als Fußballjournalist lernt man es im Laufe der Jahre schon, den Fan in sich in Schach zu halten. So schwer es mir oft genug fällt und mitunter auch nicht gelingt, selbst wenn ich mich auf der Pressetribüne besser zusammenreißen kann als jener liebenswürdige Kollege, der stets mit Borussia Mönchengladbach leidet und einen fehlgeleiteten Referee während des Spiels schon mal lautstark als „Wichser“ beschimpfte.
Auch Hugo Borst gingen neulich die Nerven durch, als Sparta Rotterdam im Halbfinale des holländischen Pokals gegen den FC Utrecht spielte. Sparta ist einer der ältesten und traditionsreichsten Klubs des Landes, stieg aber am Ende der vorletzten Saison bedauerlicherweise nach 80 Jahren aus der ersten Liga ab, weshalb der Aussicht auf ein Pokalendspiel noch größere Bedeutung zukam. Auch für Hugo Borst, einen der bekanntesten und eigenwilligsten Fußballjournalisten Hollands. Im Algemeen Dagbald schreibt der Mann, der seinem Auftreten nach auch in einer Indie-Band mitspielen könnte, eine zumeist witzige Kolumne, in der Fernsehsendung Studio Voetbal spielt er den Part des scharfzüngigen Provokateurs. Und dann ist er eben noch Fan von Sparta Rotterdam, was die Fortsetzung einer langen Familientradition ist: Sein Vater besucht die Spiele im Stadion „Het Kastell“ seit 1938.
Im Pokalspiel gegen Utrecht brachte ihn der Schiedsrichter auf, weil er in der ersten Halbzeit zwar einen Elfmeter für Sparta pfiff, dem gegnerischen Torwart aber keine rote Karte zeigte, obwohl der ein sicheres Tor verhindert hatte. Der Keeper blieb, hielt prompt den Elfer, und Borst stürmte in der Pause zu den Kabinen. Man muss an dieser Stelle sagen, dass er an jenem Abend nicht als Berichterstatter im Stadion war, sondern als Fan. Weil ihn aber bei Sparta jeder kennt, gelangte er auch ohne Pressekarte ungehindert zum Referee und beschimpfte ihn als „oplichter“ – als „Schieber“.
„Ich wollte ihm helfen, ein besserer Schiedsrichter zu werden“, sagt Borst, „und in der zweiten Halbzeit hat er dann auch fast jeden Freistoß für Sparta gepfiffen“. So direkt möchte man als Fan gerne häufiger helfen, trotzdem reichte es für Sparta nicht, 3:3 stand es nach Verlängerung, im Elfmeterschießen gewann der Erstligist aus Utrecht und zog ins Finale ein. Tags darauf schrieb Hugo Borst seine Zeitungskolumne in eigener Sache, und in der Fernsehsendung kündigte er einige Tage später an, dass ihm so eine Entgleisung nicht mehr passieren werde. Außerdem sprach der Journalist Borst gegen den Fan Borst ein freiwilliges Stadionverbot aus: Anstatt zum nächsten Spiel von Sparta zu gehen, würde er eine Literaturlesung besuchen.
Das war eine gerechte Strafe, und sie wurde mit der nötigen Selbstironie ausgesprochen. Denn einerseits wird von Fußballjournalisten die gleiche Verpflichtung zur Objektivität verlangt wie von den Kollegen anderer Ressorts, zugleich sorgt doch erst der emotionale Treibstoff für die nötige Schaffenskraft. Oder, um es anders zu sagen: Ich kenne keinen Fußballjournalisten, der nicht Fan ist oder es zumindest einmal war. Denn warum sonst sollte man sich mit etwas beschäftigen, das aus sich heraus so unwichtig ist?
Womit das Thema hier eigentlich erledigt wäre, es aber für Hugo Borst nicht war. Der holländische Fußballverband forderte von ihm eine weitere, offizielle Entschuldigung und wollte ihn bis dahin von allen Pokal- und Länderspielen ausschließen. Obwohl Borst sich bockig zeigte, wurde das Berufsverbot bei einem Friedensgipfel am gestrigen Morgen ausgeräumt. Alles andere wäre ja noch schöner gewesen.
Mit den taz-Kolumnen von Christoph Biermann ist soeben ein Buch erschienen: „Meine Tage als Spitzenreiter. Letzte Wahrheiten über Fußball“. Verlag Die Werkstatt, 144 S., 9,90 €