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Archiv-Artikel

in fußballland CHRISTOPH BIERMANN über Maskottchenmonster

Eine Springflut des Irrsinns

Es war eine wahrscheinlich tolle Idee, die Klaus Hilpert damals hatte, nur vorzeigen wollte er sie nicht. Der richtige Moment sei noch nicht gekommen, erklärte mir der damalige Manager des VfL Bochum, der schon den Claim „professioneller Familienklub“ für seinen Arbeitgeber erfunden hatte. Der Moment war wahrscheinlich deshalb nicht richtig, weil der VfL Bochum gerade im Abstiegskampf oder mal wieder abgestiegen war – man kommt bei dem ganzen Auf und Ab des letzten Jahrzehnts mit dem Erinnern immer etwas durcheinander. Jedenfalls war Klaus Hilpert irgendwann verschwunden, um später bei Rot-Weiß Oberhausen und nun bei Fortuna Köln („ein professioneller Familienklub“) wieder aufzutauchen, ohne dass die Blaue Maus jemals aus seiner Schublade hervorgekrochen gekommen wäre.

Besser ist das, denn so ist der VfL Bochum bis heute ohne Maskottchen, und was könnte man löblicheres über einen Fußballverein sagen. Wie eine Springflut des Irrsinns sind Maskottchen über den Fußball gekommen. Hennes VII. vom 1. FC Köln sei hier ausdrücklich ausgenommen, handelt es sich doch um einen real existierenden Geißbock. Die wahre Pestilenz ist aus Plüsch oder Pappmaché und hüpft während der Spiele blöd herum, um sich anschließend winkend und dumm grinsend bei Interviews ins Bild zu schummeln. Dabei sind die Maskottchen so schlecht ausgedacht, dass sich wahrscheinlich selbst die Zielgruppe der 5- bis 7-Jährigen beleidigt fühlt.

Warum etwa gibt es beim VfB Stuttgart das Krokodil „Fritzle“? Leben diese Großreptilien im Neckar? Dass bei den Löwen von 1860 in München ein Löwe herumläuft und bei den Zebras des MSV Duisburg ein Zebra, geschenkt. Beeindruckend ist allerdings die Indolenz bei „Herthinho“, dem bärenartigen Maskottchen von Hertha BSC. „Herthinho“ soll brasilianisches Flair nahe legen, und das hat sich bestimmt eine Top-Werbeagentur ausgedacht. Die sollte nun schnell mal in Wolfsburg anrufen, wo man „Wölfi“ infolge der argentinischen Entwicklungen dringend überarbeiten müsste. Die Vorschläge „Wolgaucho“ und „Wolfaucho“ seien hiermit kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Der Herthinho-Darsteller übrigens tritt gerne zurück, gibt also keine Interviews, damit man nicht ihn, sondern das Maskottchen wahrnimmt. Das Werk soll größer als der Mensch dahinter sein. Die richtige Einstellung ist das, sie überwiegt aber nicht durchgehend. Immer häufiger werden Maskottchen nicht nur zur Bedrohung für die geistige Verfassung des Publikums, sondern für den Spielbetrieb. Nachdem vor Jahren der „Grotifant“ in der Grotenburg-Kampfbahn suspendiert werden musste, weil er den Linienrichter attackiert hatte, geschah im letzten Winter bei Union Berlin ähnliches. Dort lief „Ritter Eisenbart“ nach einem Treffer für die Gastgeber auf den Platz, um den Torschützen Michael Molata zu umarmen. Wahrscheinlich hatte er ähnliche Probleme wie „Kumpel Erwin“ bei Schalke 04, in dessen Kopf ein Ventilator für Belüftung sorgt, bei dem die Batterien aber nach einer Stunde schon leer sind und die Gefahr größter Hitzköpfigkeit besteht.

In Wirklichkeit kann sich jeder Verein glücklich schätzen, der von einem Maskottchen verschont geblieben ist. Werder Bremen etwa, wo die Möwe „Werdi“ (wer denkt sich so was eigentlich aus?) genauso davonflatterte wie die Hummel beim Hamburger SV. Auf dieses Insekt waren Monster des Maskottchenwesens wegen des hamburgischen „Hummel, hummel, mors, mors“ gekommen. Wohin das alles führen kann, zeigt ein trauriges Beispiel von jenseits der Grenzen. Das irrwitzigste Maskottchen aller Zeiten habe ich vor einigen Jahren in Belgien (wo sonst?) gesehen – bei Eendracht Aaalst. Dieses Wesen war offensichtlich das Produkt eines LSD-Trips, denn anders war die Mischung aus Teekesselchen und Blumenzwiebel mit Zügen eines Aliens im Raumfahrtanzug nicht zu erklären. Lange hielt der Klub dieser Belastung nicht stand und wurde im vorletzten Jahr in die dritte Liga zurückversetzt. Wer weiß, was dem VfL Bochum ohne die Blaue Maus alles erspart geblieben ist.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt den Fußball und er schreibt darüber.